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Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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brauchen keine Angst zu haben», sagte ich, «ich bin ja bei Ihnen.»
    «Holen Sie bitte Eric», flüsterte sie.
    Ich eilte hinaus und klopfte an Dr. Leidners Tür. Im nächsten Augenblick war er bei uns. Mrs Leidner saß schwer atmend auf meinem Bett. «Ich habe ihn gehört!», stieß sie hervor. «Ich habe deutlich gehört, wie er an der Wand kratzte.»
    «Im Antiquitäten-Zimmer?» rief Dr. Leidner.
    Er eilte hinaus, und ich dachte unwillkürlich, wie verschieden die beiden reagierten: Mrs Leidners Furcht war ganz persönlich, die von Dr. Leidner galt nur seinen Schätzen.
    «Es war im Antiquitäten-Zimmer! Natürlich!» murmelte Mrs Leidner. «Wie dumm ich war.»
    Sie stand auf, zog den Morgenrock enger um sich und bat mich, mit ihr zu kommen. Ihre Furcht schien verschwunden zu sein.
    Im Antiquitäten-Zimmer fanden wir Dr. Leidner und Pater Lavigny, der ebenfalls aufgestanden war, da er auch etwas gehört hatte; er hatte geglaubt, Licht im Antiquitäten-Zimmer zu sehen, war in seine Pantoffeln geschlüpft und hatte eine Taschenlampe genommen; er war jedoch zu spät gekommen, hatte niemanden mehr gesehen. Zudem war die Tür wie jede Nacht ordnungsgemäß verschlossen gewesen.
    Nachdem Dr. Leidner sich überzeugt hatte, dass nichts fehlte, kam er wieder zu uns. Nichts war festzustellen. Das Hoftor war verschlossen, und die Wächter schworen, dass niemand von außen hätte hereinkommen können, doch da sie wahrscheinlich geschlafen hatten, war das kein schlagender Beweis.
    Vielleicht war Mrs Leidner von dem Geräusch geweckt worden, das Pater Lavigny gemacht hatte, als er Schachteln von den Regalen nahm, um sich zu überzeugen, dass alles in Ordnung war.
    Andererseits behauptete der Pater steif und fest, Schritte vor seinem Fenster gehört und ein Licht, vielleicht von einer Taschenlampe, im Antiquitäten-Zimmer gesehen zu haben. Niemand sonst hatte etwas gesehen oder gehört.
    Der Vorfall ist darum wichtig, weil er Mrs Leidner dazu veranlasste, mir am nächsten Tag ihr Herz auszuschütten.

9
     
    N ach dem Mittagessen ging Mrs Leidner wie immer in ihr Zimmer, um sich auszuruhen. Ich brachte ihr Kissen und ein Buch, und als ich hinausgehen wollte, hielt sie mich zurück. «Bleiben Sie bitte, Schwester, ich möchte mit Ihnen sprechen… machen Sie die Tür zu.»
    Sie schwieg einige Sekunden, dann erhob sie sich und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Offensichtlich schien sie sich einen Entschluss abzuringen. Schließlich forderte sie mich auf, Platz zu nehmen, und als ich mich still an den Tisch gesetzt hatte, fragte sie zögernd: «Bestimmt haben Sie sich über all das, was hier vor sich geht, gewundert?»
    Schweigend nickte ich.
    «Ich habe mich entschlossen, Ihnen alles zu erzählen. Ich muss mich jemandem anvertrauen, sonst werde ich verrückt.»
    «Ich glaube auch, dass es am besten wäre», stimmte ich zu. «Es ist schwer, einem Menschen zu helfen, wenn man im Dunklen tappt.»
    Sie blieb stehen und fragte: «Wissen Sie, wovor ich mich fürchte?»
    «Vor einem Mann.»
    «Ja, aber ich meinte nicht vor wem, sondern vor was.» Ich wartete. «Ich fürchte, dass ich umgebracht werde.»
    Es war heraus. «Mein Gott», sagte ich. «Das ist es also?»
    Sie lachte und lachte, dass ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen. «Wie Sie das sagen… wie Sie das sagen…», keuchte sie.
    «Hören Sie auf», fuhr ich sie an, schob sie in einen Sessel, ging zum Waschtisch, nahm einen nassen Schwamm und befeuchtete ihr Stirn und Puls. «Jetzt reden Sie keinen Unsinn mehr, sondern erzählen mir alles in Ruhe.»
    Das wirkte. Sie richtete sich auf und sprach wieder ganz natürlich. «Sie sind ein Engel, Schwester. Bei Ihnen kommt man sich wieder wie ein kleines Kind vor. Ich werde Ihnen alles erzählen.»
    «Das ist vernünftig», entgegnete ich.
    Sie sprach nun langsam, überlegt. «Als ich 1918 heiratete, war ich zwanzig Jahre alt. Mein Mann arbeitete im Außenministerium.»
    «Ich weiß», unterbrach ich sie, «Mrs Mercado hat es mir erzählt. Er fiel im Krieg.»
    Mrs Leidner schüttelte den Kopf. «Das glauben alle, aber es stimmt nicht. Ich war damals sehr patriotisch und kriegsbegeistert und entdeckte nach einigen Monaten durch einen Zufall, dass mein Mann Spion in deutschen Diensten war. Ich erfuhr, dass durch seine Informationen ein amerikanisches Transportschiff versenkt worden war, wobei mehrere hundert Menschen umkamen. Ich weiß nicht, was andere an meiner Stelle getan hätten… ich jedenfalls ging sofort zu meinem

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