Mord in Mesopotamien
Selbstverständliches hin und wurde sich, glaube ich, nie bewusst, was für einen bedeutenden, was für einen großen Menschen sie geheiratet hatte. Das ärgerte mich oft. Und sie war schrecklich nervös. Was sie sich alles vorstellte, und was sie für Szenen machte! Ich war sehr froh, als Dr. Leidner Schwester Leatheran engagierte. Es war zu viel für ihn, sich um seine Arbeit und um die Angstzustände seiner Frau zu kümmern.»
«Was halten Sie von den anonymen Briefen, die sie erhielt?»
Ich konnte nicht anders, ich musste mich so weit vorbeugen, dass ich ihren Gesichtsausdruck erkennen konnte. Sie sah vollkommen gelassen aus.
«Ich nehme an, dass jemand in Amerika sie hasste und versuchte, sie zu erschrecken und zu beunruhigen.»
« Pas plus sérieux que ca? »
«Das ist meine Meinung. Sie war eine sehr schöne Frau und hatte wahrscheinlich Feinde. Ich glaube, dass irgendeine gehässige Frau die Briefe geschrieben hat, und Mrs Leidner, die sehr nervös war, nahm sie ernst.»
«Das tat sie bestimmt», entgegnete Poirot. «Und vergessen Sie nicht, dass der Letzte ihr in ihr Zimmer auf den Tisch gelegt wurde. »
«Ich stelle mir vor, dass sich das arrangieren lässt. Frauen machen sich zur Befriedigung ihres Hasses viele Umstände, Monsieur Poirot.»
Das tun sie, dachte ich.
«Vielleicht haben Sie Recht, Mademoiselle. Wie Sie sagen, war Mrs Leidner schön. Dabei fällt mir ein: Kennen Sie die Tochter von Dr. Reilly?»
«Sheila Reilly? Natürlich.»
Poirot sprach jetzt vertraulich. «Ich habe gehört (und möchte natürlich nicht den Doktor danach fragen), dass sich zwischen ihr und einem Expeditionsmitglied etwas angebahnt hat. Stimmt das?»
Miss Johnson war sichtlich amüsiert. «Ach, der junge Coleman und David Emmott umschwärmen sie. Ich glaube, sie machen es einander streitig, wer sie in den Club begleiten darf; beide gehen regelmäßig am Samstag in den Club. Aber ich glaube nicht, dass sie einen von ihnen ernst nimmt. Sie ist hier in der Gegend das einzige junge Mädchen, verstehen Sie. Auch die jungen Fliegeroffiziere sind hinter ihr her.»
«Sie glauben also nicht, dass daran etwas ist?»
«Nein… das glaube ich nicht.» Miss Johnson war nachdenklich geworden. «Allerdings kommt sie oft hierher, auch zur Ausgrabungsstätte. Und Mrs Leidner zog neulich einmal David Emmott damit auf, dass Sheila ihm nachlaufe. Das war recht boshaft, und er war gar nicht erbaut darüber… Ja, es stimmt, sie war oft hier. Am Nachmittag des Mordtages sah ich sie zum Ausgrabungsplatz reiten. Aber an dem Nachmittag hatten weder Emmott noch Coleman Dienst, Richard Carey war dort. Ja, vielleicht gefällt ihr doch einer der beiden, aber sie gehört zu den modernen unsentimentalen jungen Mädchen, von denen man nie weiß, ob sie etwas ernst nehmen. Jedenfalls weiß ich nicht, welchen von beiden sie bevorzugt. Bill ist ein netter Junge und gar nicht so blöd, wie er sich stellt. Emmott ist ein reizender Mensch, und es steckt viel in ihm, er ist ein stilles Wasser.»
Dann blickte sie Poirot spöttisch an und fragte: «Aber was hat das mit dem Verbrechen zu tun, Monsieur Poirot?»
Monsieur Poirot hob in typisch französischer Art die Hände. «Ich werde rot, Mademoiselle. Sie stellen mich als klatschsüchtig bloß. Aber was wollen Sie, mich interessieren nun einmal die Liebesgeschichten junger Menschen.»
«Ja», sagte Miss Johnson mit einem leichten Seufzen, «es ist schön, wenn man auf wahre Liebe stößt…»
«Sheila Reilly hat Charakter», fuhr sie dann fort. «Sie ist jung und noch ungeschliffen, aber sie ist in Ordnung.»
«Wenn Sie es sagen, Mademoiselle, wird es stimmen», meinte Poirot und fragte dann: «Sind augenblicklich noch andere Expeditionsangehörige im Haus?»
«Marie Mercado muss hier sein. Die Männer sind alle draußen. Ich glaube, dass sie es hier nicht mehr aushielten, was ich ihnen nachfühlen kann. Wenn Sie vielleicht zum Ausgrabungsplatz gehen möchten…» Sie kam nun auf die Veranda und sagte, mir zulächelnd: «Bestimmt wird Schwester Leatheran Sie begleiten.»
«Gern, Miss Johnson», sagte ich.
«Und Sie essen mit uns zu Mittag, Monsieur Poirot?»
«Mit dem größten Vergnügen, Mademoiselle.»
Miss Johnson ging ins Wohnzimmer zurück und setzte sich wieder an ihre Arbeit.
«Mrs Mercado ist auf dem Dach. Wollen Sie sie zuerst sprechen?», fragte ich.
«Das ist gleichgültig. Gehen wir hinauf.»
Auf der Treppe sagte ich: «Haben Sie mich schreien gehört?»
«Nicht einen
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