Mord in Tarsis
auf Dauer zu adoptieren. Ich brauche kein Kindermädchen.«
Sie schenkte ihm ein sardonisches Lächeln. »Mhm, bestimmt nicht. Ein mächtiger Krieger wie du nimmt es mit allem auf.«
»Kein Grund zum Sarkasmus«, sagte Nistur. »Ich versichere dir, wir wissen deine Sorge zu schätzen. Ich nehme an, du bist mit diesem Ort vertraut?«
»Mehr als vertraut«, bestätigte sie. »Ich habe einen großen Teil meines Lebens hier verbracht.«
»Dann hast du Glück«, sagte einer der Kaufleute. »An den meisten Orten hacken sie den Leuten bei wiederholtem Diebstahl die Hand ab.«
»Bei mir gibt’s immer ’ne Bestechung«, sagte sie. »Wärter mißhandeln keine zuverlässige Einnahmequelle.«
»Wenn wir schon dabei sind«, warf Nistur ein, »wo hattest du denn die Münze versteckt, mit der du dich gerade in diese Zelle reinbestochen hast?«
»Es gibt ein paar Fragen, die man nicht stellen sollte«, sagte sie großspurig.
Der Fürst von Tarsis stieg am Fuß des befestigten Turmes ab, der die Nordseite des Osttors flankierte. Hinter dem Tor hörte er die Trommeln dröhnen, die die Stadt den ganzen Tag über an den Rand der Panik gebracht hatten. Während seines Ritts durch die Stadt hatte er sich über das Entsetzen in den Augen der Bürger aufgeregt. Menschen, die noch am Vortag nichts als Verachtung für die Wüstenbarbaren übrig gehabt hatten, ließen sich jetzt von ein bißchen Krach ins Bockshorn jagen. Es war absurd.
Als er die Wendeltreppe emporstieg, sorgten die dicken Mauern des Turms für gesegnete Stille, aber die sollte nicht anhalten. Beim Hinaustreten auf den Wehrgang, der über dem Tor verlief, brüllte ihn das Geräusch mit verstärkter Kraft an und schien selbst die Steine der Mauer zu erschüttern. Wehrgang und Türme waren mit Stadtwachen und – was wichtiger war – Elitesöldnern dicht bemannt. Sie gaben ein wackeres Bild ab, aber er war sich nur zu deutlich dessen bewußt, daß große Teile der halbverfallenen Mauern praktisch unbemannt waren, und selbst über das Dröhnen der Trommeln hinweg hörte er die klirrenden Hammerschläge der Zimmerleute und Schmiede, die eilends versuchten, die Kriegsmaschinen auf den Plattformen der Mauern nach jahrelanger Vernachlässigung wieder kampfbereit zu machen.
Der Fürst schritt auf die Verhandlungsplattform zu, die über der Mitte des Tores errichtet worden war, und verfluchte dabei die Pfennigfuchserei des von Händlern dominierten Senats, der es zugelassen hatte, daß die Verteidigungsanlagen der Stadt derart an Altersschwäche litten. Daß er selbst dieser Politik schweigend zugestimmt hatte, minderte seine Wut nicht im geringsten.
Als er die hölzerne Plattform betrat, hoben die Trompeter ringsherum ihre glänzenden Instrumente und bliesen eine schrille Fanfare, die den dumpfen Klang der Trommeln durchschnitt.
Als er so dastand, im Blickfeld der Armee von Wilden da unten und oberhalb des Schutzes der Brustwehr, fühlte sich der Fürst von Tarsis nahezu nackt. Aber gewisse Dinge wurden von einem erwartet, wenn man herrschte, und er zeigte seine Beklemmung nicht. Außerdem waren bestimmte, scharfsichtige Männer dazu abgestellt, nach heransausenden Geschossen Ausschau zu halten, und seine Leibwachen standen bereit, um ihn beim ersten Anzeichen eines auf seine Person gerichteten Pfeils, Bolzens oder Steins in Sicherheit zu bringen.
Abrupt brach der aufwühlende Rhythmus der Trommeln ab. In der Nomadenarmee unten rührte sich etwas. Flaggen und Standarten bewegten sich, und während sie dies taten, beobachtete der Fürst das Schauspiel. Es schienen mindestens doppelt so viele Krieger, Pferde und Zelte zu sein wie erst vor zwei Tagen. Daraus folgerte er, daß Kyaga mit Verstärkung eingetroffen war. Das war nicht gut.
Die Nomaden waren ein farbiger Haufen. Ihre Tiere waren mit gestreiften, gescheckten und teilweise bunten Panzern in grellen Farben ausstaffiert. Die Krieger selbst trugen helle Roben, hatten ihre Helme mit Schals umwickelt und ihre Gesichter bis zu den Augen verhüllt. Sie schwangen ihre langen, gekrümmten Schwerter über dem Kopf. Auch von ihren Lanzenspitzen flatterten Wimpel, aber der Fürst wußte genau, daß das nur Angeberei war. Ihre eigentlichen Waffen, die Bogen, steckten gut verpackt an ihren Sätteln. Wenn diese zum Vorschein kamen, würde die Schau vorbei sein und der Krieg ernsthaft beginnen.
Plötzlich teilte sich wie auf Kommando die Mitte der Nomadenarmee. Die Männer ritten nach beiden Seiten, so daß ein langer,
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