Mord in Tarsis
erhalten, das gelobe ich. Sorgt dafür, daß sie Euer Siegel tragen. Jeder, der ohne Siegel versucht die Stadt zu verlassen, wird auf der Stelle getötet.«
»Einverstanden!« rief der Fürst von Tarsis.
»Fünf Tage!« schrie Kyaga. Er wendete sein Pferd und ritt zu seinem Zelt zurück, dicht gefolgt von dem Schamanen und dem Fahnenträger. Während des ganzen Wortwechsels hatte der Schamane nicht ein einziges Wort gesprochen.
Wieder saß der Fürst von Tarsis mit seinem Inneren Rat zusammen. Die Masken ärgerten ihn, denn sie erschwerten es ihm, in den Gesichtern zu lesen. Dennoch kam ihm nicht einmal der Gedanke zu verlangen, daß sie sie abnahmen. Man brach nicht einfach die Tradition.
»Ich verstehe gar nicht, wo hier das eigentliche Problem liegt, Herr«, sagte Geheimrat Rukh. »Unsere Kerker stecken voller Halunken. Wählt zwei oder drei davon aus und übergebt sie den Wilden. Die dummen Barbaren werden zufrieden sein, und die Schurken wird keiner vermissen.«
»Ich bezweifle, daß Kyaga sich so leicht täuschen läßt«, sagte der Fürst. »Zugegeben, wir haben uns nur kurz kennengelernt, aber er kommt mir wie ein gerissener Mann vor. Vor seinen Männern hat er sich aufgeplustert, aber mir hat er gezeigt, daß er zu Verhandlungen bereit ist.«
»Mein geschätzter Kollege Rukh ist viel zu brutal und zu wenig subtil«, sagte Geheimrat Mede, der Bankier. »Unter der Bevölkerung von Tarsis gibt es eine Reihe recht angesehener Männer, die ruiniert sind und tief in meiner Schuld stehen. Um ihre Familien zu retten, würden einige von ihnen – wenn ich ihnen die Schulden erlasse – bereit sein, den Mord zu gestehen. Das wäre viel überzeugender als zitternde Galgenvögel.«
»Nur überzeugend, bis die heißen Eisen kommen«, sagte der Fürst. »Dann würden sie zusammenbrechen, und der Betrug wäre offenbart.«
»Herr«, sagte Geheimrat Melkar, »wäre es nicht sinnvoll, einfach herauszufinden, wer den Barbaren getötet hat, und ihn – oder sie – Kyaga auszuliefern, anstatt komplizierte Täuschungsmanöver auszuhecken?«
»Das wäre wünschenswert«, gab der Fürst zu, »aber es gibt da ein paar Schwierigkeiten. Zum einen habe ich keine Offiziere, die in der Untersuchung solcher Verbrechen Erfahrung haben. Alles, wovon sie etwas verstehen, sind Zollbetrüger, säumige Steuerzahler und korrupte Beamte. Wenn keine Steuerrollen und Rechnungen im Spiel sind, ist es hoffnungslos. Außerdem könnten Personen von hohem Rang in die Sache verwickelt sein, und die sind gewöhnlich wenig geneigt, einem einfachen Beamten zu antworten.«
»Ich wäre höchst erfreut, wenn ich Euch in dieser Angelegenheit behilflich sein dürfte«, sagte Rukh. »Abgesehen von Euch steht im Rang niemand über mir, und ich bin ziemlich geschickt.«
Du könntest auch selbst der Mörder sein, dachte der Fürst. »Ich danke Euch, aber wenn ich Euch als Kommissar einsetzen würde, könnte es heißen, daß wir versuchen, schändliche Vorgänge im Rat zu vertuschen. Ich wünsche nicht, daß unser Ruf für Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit Schaden nimmt. Nein, meine Herren, ich werde einen Untersucher finden, jemanden, der neutral und nicht durch Blutsbande oder sein Vermögen an die großen Häuser von Tarsis gebunden ist. Jemanden von erheblichen Fähigkeiten.«
Das waren wohlklingende Worte, dachte er, als die Geheimräte gingen. Aber wo sollte er eine solche Person finden? Er blickte auf das große Stundenglas, das an einem Ende des Raums stand. Schon jetzt war ein beträchtlicher Teil seiner fünf Tage hindurchgeronnen.
5
»Was für ein Tag ist heute?« fragte Eisenholz.
Nistur musterte das Gesicht seines Gefährten. »Entweder du hast einen langsam wachsenden Bart, oder wir sind noch nicht besonders lange hier«, erwiderte er reizbar.
»Immer langsam«, riet Muschelring. »Ihr seid noch nicht einmal einen halben Tag hier.« Sie lag auf dem Rücken, hatte den Kopf auf ihre verschränkten Finger gelegt, ein Knie angezogen und das andere darüber geschlagen. »Im Gefängnis fühlt sich die Zeit einfach anders an.«
»Das ist nicht das einzige, was sich anders anfühlt«, sagte Nistur, dessen Hand unter seine Tunika schoß. »Die zweibeinigen Bewohner dieses Ortes kann ich tolerieren. Selbst die vierbeinigen sind zumindest vermeidbar. Die von der sechsbeinigen Sorte sind da etwas ganz anderes.«
Als erneut die Essenszeit gekommen war, lehnten Eisenholz und Nistur es ab, am Essen teilzuhaben. Muschelring, die in
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