Mord in Tarsis
Harnisch aus Stahl und Leder knirschte. »Wie Ihr wollt. Kommt mit.« Er führte sie in einen der Türme, und sie stiegen auf der gewundenen Treppe nach oben. »Uns wurde gesagt, daß Beamte mit einem solchen Siegel kommen würden und daß wir sie das Tor passieren lassen sollten. Untersucht ihr wirklich den Mord an diesem Barbarengesandten?«
»So lautet unser Auftrag«, bestätigte Eisenholz.
Auf dem Turm nahmen die Söldner und Stadtwachen nachlässig Haltung an, als ihr Hauptmann auftauchte. Der verantwortliche Unteroffizier salutierte. »Alles ruhig da draußen im Nomadenlager, Herr Hauptmann«, berichtete er. »Sieht so aus, als wäre vor einer Stunde eine neue Gruppe eingetroffen. Vielleicht hundert Mann.«
Nistur und Eisenholz traten an die Brustwehr und blickten zwischen den Zinnen hindurch. »Ein imponierender Anblick«, sagte Nistur.
Das Nomadenlager erstreckte sich in alle Richtungen. Es waren Hunderte von Zelten; Berittene übten sich im Bogenschießen oder führten spontane Schaukämpfe mit der Lanze aus; Patrouillen ritten aus oder kehrten ins Lager zurück. Alles in allem fehlte die Ordnung einer zivilisierten Armee, aber das Ganze vermittelte doch den unmißverständlichen Eindruck eines Lagers voller Krieger, die ihr Handwerk verstehen.
»Nomaden reisen mit dem ganzen Stamm«, sagte Eisenholz. »Wie hoch ist der Anteil der Krieger?«
»Es sind ausschließlich Krieger«, berichtete Karst. »Dieser neue Oberhäuptling hat sie dazu gebracht, ihre Familien draußen in ihren angestammten Weidegründen zu lassen. Dieses Lager ist seit gestern um ein Drittel gewachsen.« Der Hauptmann fletschte die Zähne zu einem freudlosen Grinsen. »Ich wette, es geht die Nachricht um, daß Kyaga Tarsis plündern will. Die wollen alle beim Verteilen der Beute dabeisein, selbst die, die ihm noch nicht die Treue geschworen haben.«
»Wenn es ihm gelingt, bekommt er ihren Treueschwur«, sagte Eisenholz. »Dann ist er der unangefochtene Anführer aller Nomaden.«
»Soll das heißen«, sagte Nistur, »daß du meinst, es wäre gar nicht so sehr in seinem Interesse, daß wir den Mörder des Botschafters finden, denn das bringt ihn um seinen Anlaß zum Angriff?«
»Er hätte überhaupt nichts davon«, sagte Karst. »Ganz im Gegenteil. Er würde all die Krieger da draußen enttäuschen.«
»Also ist unser Auftrag ziemlich sinnlos, ja?« meinte Nistur.
»Dieser Halunke da draußen«, sagte Karst und zeigte auf das riesige Zelt in der Mitte des Lagers, »ist angeblich zu Verhandlungen mit dem Fürsten und den Räten hergekommen. Er hat gesagt, er würde angreifen, wenn die Mörder nicht innerhalb von fünf Tagen ausgeliefert werden. Wenn er sie bekommt, geht es wieder ans Verhandeln. Wenn die Verhandlungen scheitern, greift er auf jeden Fall an.« Er zuckte mit den Achseln. »Für mich ist es ein und dasselbe. Ich hole meinen Sold ab, was auch geschieht.«
»In welchem Zustand sind die Verteidigungsanlagen?« fragte Eisenholz.
»In einem besseren als vor zwei Tagen«, antwortete Karst. »Wir haben jeden Zimmermann und jeden Schmied der Stadt geholt, um die Katapulte und Wurfmaschinen instand zu setzen. Zum größten Teil sind sie jetzt funktionsfähig. Die Steinmetze haben die meisten Lücken in der Stadtmauer aufgefüllt, die nicht so groß waren, wie wir anfangs befürchtet hatten.«
»Sind genug Männer da, um so lange Mauern zu verteidigen?« fragte Eisenholz.
»Nein, aber andererseits habe ich diese Nomaden auch keine Belagerungsmaschinen bauen sehen. Ich glaube kaum, daß sie überhaupt wissen, wie man so etwas baut und benutzt. Wenn sie nicht mit Maschinen angreifen, können wir selbst mit schwach verteidigten Mauern lange, lange durchhalten.«
»Das stimmt«, sagte Eisenholz finster. Nistur warf ihm einen Blick zu, denn sein Tonfall überraschte ihn, aber er gab keinen Kommentar dazu ab.
»Dann können sie also kaum darauf hoffen, die Mauern im Sturmangriff zu nehmen?« fragte der Assassine.
»Jeder Soldat weiß das«, erklärte ihm Karst. »Man kann nicht allein mit Schußwaffen eine schwerbefestigte Stellung einnehmen. Auf offenem Feld können diese Waffen entscheidend sein, besonders wenn sie mit Mobilität gekoppelt sind. Aber wenn man an Mauern wie dieser emporschießt, ducken sich die Verteidiger einfach hinter die Mauerzacken, bis der Sturm vorüber ist. Man kann sogar in den Schießscharten stehen und zurückschießen und sich von den Schutzschilden decken lassen.« Er zeigte auf die großen,
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