Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord in Tarsis

Mord in Tarsis

Titel: Mord in Tarsis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
Vom Netzwerk:
Voreiligkeit.«
    »Absolut verständlich«, sagte Nistur. »Schließlich warst du ziemlich jung.«
    Stunbog lachte. »Du hast ein seltenes Talent zur Diplomatie, mein Freund. Es verbirgt gut, was für ein gefährlicher Mensch du bist. Aber schließlich haben Löwen die Farbe des Steppengrases und Haie die ihrer Heimatgewässer. Selbst Raubtiere brauchen ihre Tarnfarben.«
    »Du bist ein guter Beobachter. Also hast du dich von deinem Ehrgeiz zu einer Dummheit hinreißen lassen?«
    Stunbogs Lächeln verschwand, und seine Miene verdüsterte sich. »Einer Dummheit der furchtbarsten Sorte. Um die zu beeindrucken, die besser waren als ich, die ich inmeiner Eitelkeit als Rivalen betrachtete – dieses spezielle Stück Anmaßung muß sie gewaltig amüsiert haben –, wollte ich einen Zauber wirken, den seit fünfhundert Jahren nicht einmal die höchstrangigen Magier versucht hatten. Ich kann nicht einmal seinen Namen für dich wiederholen, denn seine Kraft ist so stark, daß bestimmte Schutzrituale zur Vorbereitung durchgeführt werden müssen, bevor man auch nur über ihn sprechen kann. Selbst dann dürfen nur Eingeweihte bestimmter uralter Mysterien daran teilnehmen.«
    »Klingt wie eine Mutprobe«, sagte Nistur.
    »Das ist ein viel zu mildes Wort. Es war mehr als das, es war eine Katastrophe, nicht nur für den, der sie entfesselte, sondern für alle, die im Umkreis lebten. Meine Kollegen, die zu diesem Zeitpunkt alle zu meinen Feinden geworden waren, verschworen sich und verkehrten jeden Schritt des Rituals, während ich es ausführte, ins Gegenteil, um seinen ganzen unheilvollen Einfluß gegen meine Absichten zu richten. Wäre ich ein großer Zauberer gewesen, so hätte ich ihre Einmischung ohne Schwierigkeiten entdeckt und Schritte ergriffen, um mich zu schützen. Aber«, er hob resigniert seine gebeugten Schultern, »wäre ich ein großer Zauberer gewesen, dann hätte ich nie etwas so Dummes versucht.«
    »Ach, aber die Voreiligkeit der Jugend ist uns allen gemeinsam. Ja, ich selbst – «
    Der Heiler hob abwehrend eine Hand. »Übertreib es nicht mit dem Mitgefühl, mein Freund. Selbst wenn du es ernst meinst, ist einfacher Zuspruch gewöhnlich ausreichend.«
    »Verzeihung.« Nistur verbeugte sich leicht, die Finger der einen Hand auf der Brust gespreizt.
    »Ich bin nicht beleidigt, gewiß nicht. Um fortzufahren: Ich brachte jedes Detail des Spruches zu Ende und schwelgte dabei in dem, was ich für meine gewaltige Macht und Kunst hielt. Triumphierend stand ich da, umgeben von meinen Siegeln, meinen magischen Gegenständen, all den strahlenden, glanzvollen Werken meiner geliebten Kunst…« Seine Worte verloren sich, und seine Augen blickten in die Ferne, als er die Jahre überbrückte und das nacherlebte, was Nisturs sicherer Überzeugung nach in diesem letzten, glücklichen Moment geschehen sein mußte.
    »Und dann?« fragte Nistur leise.
    »Und dann«, fuhr Stunbog fort, dessen Gesicht sich zu einer Maske aus Bitterkeit und Reue verzerrt hatte, »hörte ich schreckliche, unfaßbare Geräusche um mich herum. Ich wurde nicht unter Geister von enormer Macht aufgenommen, wie ich es erwartet hatte. Statt dessen stand ich noch immer in meiner Zauberhöhle, doch meine Feuer und Kerzen erloschen, als würden sie von einer unsichtbaren Hand abgedeckt. Die Balken und Steine über mir ächzten vor Spannung, und feiner Staub rieselte über mich, als wäre ich in einem schlecht gegrabenen Tunnel, der gleich einstürzen würde. Da wußte ich, daß ich einen Teil des Rituals falsch durchgeführt haben mußte, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, was das gewesen sein mochte. Da ich den Einsturz meiner Höhle befürchten mußte, stopfte ich meine Bücher und alle Instrumente, die ich retten konnte, in eine große Tasche und trug sie nach draußen.« Er zeigte umher. »Vieles von dem, was du hier siehst, ist das, was ich retten konnte. Ich rannte aus der Höhle, und gerade als ich im Freien stand, hörte ich tatsächlich alles hinter mir zusammenstürzen. Aber der Anblick, der sich meinen Augen bot, war so schrecklich, daß ich mich nicht einmal umdrehte, um zu sehen, wie mein Heim einstürzte und zu Staub wurde. So weit ich sehen konnte, zerfiel jedes Gebäude, jedes Haus, jede Scheune, jeder Schuppen. Die Blätter verwelkten und fielen von den Bäumen; die Ernte verdorrte auf den Feldern. Die Menschen rannten aus ihren einstürzenden Häusern und jammerten gepeinigt über diese Katastrophe. Das Vieh brüllte auf den Feldern,

Weitere Kostenlose Bücher