Mord in Tarsis
denn das Gras war verwelkt, und die Wasserlöcher trockneten aus.«
Stunbog holte tief Luft und nahm einen noch tieferen Zug von seinem Glühwein; dann fuhr er fort: »Den ganzen Tag wanderte ich durch dieses verfluchte Land. Alles, was von Menschenhand geschaffen war, war zu Staub zerfallen. Alles Lebendige, mit Ausnahme der Menschen, war umgekommen oder lag im Sterben. Und als die Menschen mich sahen, da wußten sie Bescheid. Zuvor hatten sie mich gefürchtet, aber niemand hatte vor meiner Magie Angst gehabt. Als sie mich unbeschadet kommen sahen, noch in meinen Ritualgewändern und mit dem großen Sack mit meinem Hab und Gut auf dem Rücken, warfen sie mit Steinen nach mir und jagten mich fort. Wären sie nicht so erschüttert gewesen von dem, was ihnen zugestoßen war, sie hätten mich in Stücke gerissen. Nach einer Weile erreichte ich unberührtes Land. Ich verstand es immer noch nicht. Ich suchte die Zauberer der Gegend auf, bettelte um Hilfe, um wiedergutzumachen, was ich getan hatte. Sie alle lachten mich aus, selbst die freundlichsten unter ihnen. Die Strafe für Dummheit ist für einen Zauberer unausweichlich und unwiderruflich. Sie muß ertragen werden. Ich wandte ein, daß es ungerecht sei, daß meine Nachbarn für meine Dummheit leiden sollten. Die Zauberer waren gnadenlos. Gerechtigkeit war für das gewöhnliche Volk gedacht, erklärten sie mir. Gerechtigkeit ist von Menschen gemacht, eine Vorstellung, die von Gerichtshöfen, Herrschern und Richtern durchgesetzt wird. Sie hat nichts mit der Zauberei zu tun, in der ganz andere Regeln gelten. Ich, als ehrgeiziger Zauberer, sollte dies doch wissen.«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Wie es sie entzückte, mein gedemütigtes Gesicht in die stinkende Pfütze meiner idiotischen Arroganz zu stoßen! Nun, wenn es an der Sache irgendeine Gerechtigkeit gab, dann diese. Als ich am Ende das ganze Ausmaß meiner Schuld begriff, schwor ich jeder Praktizierung der Zauberkunst ab. Ich legte die Kleider eines Heilers an, und seit damals habe ich stets die Finger von der Magie gelassen, außer zur Erschaffung einiger sehr einfacher, wohltuender Tränke, die die Heilung beschleunigen.«
Nistur war froh, in diesen letzten Worten eine Andeutung von Stolz zu entdecken. »Ich glaube, du bist zu hart mit dir, mein Freund. Und gewiß haben die vielen Jahre guter Werke dich wieder reingewaschen. Sie sollten auch dir Frieden bringen.«
Stunbog schüttelte den Kopf. »Ein einziges Menschenleben reicht nicht aus.«
»Wo war denn dein Land?«
»Das werde ich nicht sagen. Als ich ging, habe ich nicht nur meinen Beruf geändert. Ich habe meine Heimat aufgegeben und sogar den Namen, unter dem ich geboren wurde.«
»Dann ist Stunbog also nicht dein richtiger Name?«
»Nein. Als ich klein war, war Stunbog ein betagter Bettler, der die Nebenstraßen meiner Heimat durchstreifte. Er war verachtet, lebte von der Mildtätigkeit der Bauern und Stadtbewohner. Ich fand es passend, seinen Namen anzunehmen.«
»Und wie kommt jemand wie du, der sich der Demut und den guten Werken verschrieben hat, an eine so menschenfeindliche, aber ergebene Gefährtin wie diese prächtige Barbarenfrau? Natürlich nur, wenn die Frage nicht zu persönlich ist.«
Stunbog seufzte. »Sie hat eine traurige Vergangenheit, ziemlich häßlich. Vor ein paar Jahren bin ich auf einem Eisfeld auf sie gestoßen, als ich in der Eiswüste unterwegs war.
Sie war halb erfroren und schwer verwundet, kaum noch am Leben. Man hatte sie angegriffen, brutal vergewaltigt und, scheinbar tot, liegengelassen.«
Nistur zog die Augenbrauen hoch. »Ein sehr großer Mann oder sehr viele, nehme ich an.«
»Da kannst du sicher sein. Rundherum waren Spuren eines furchtbaren Kampfes, in dem mehr als ein Mann gestorben war. Daß ich ihr das Leben gerettet habe, zählte zu meinen Glanzleistungen, wenn ich mir Eitelkeit erlauben würde. Ihre Seele zu heilen war schwieriger. Während des ersten Jahres hat sie einige Male versucht sich umzubringen. Mich verehrt sie in einer Form, die mir schon fast peinlich ist, aber ansonsten hat sie für die Menschheit wenig übrig, für Männer überhaupt nichts. Mit anderen ausgestoßenen Frauen wie der kleinen Muschelring kann sie sich mitunter anfreunden.«
»Ziemlich verständlich unter diesen Umständen. Aber warum mit Ausgestoßenen?«
»Weil es das ist, was sie war. Myrsas Mutter stammte aus dem Bergvolk. Ihr Vater war ein Eisbarbare. Ihre Stämme wollten die Ehe nicht akzeptieren, deshalb
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