Mord in Tarsis
wenn wir unsere Beute erwischen wollen.«
»Guter Rat für jeden Jäger«, sagte Myrsa.
»Ich komme auch bald«, sagte Nistur, »aber ich möchte noch hören, was Muschelring zu berichten hat, wenn sie hier erscheint.«
Eisenholz ging zu seiner Kabine, und Myrsa stand auf und reckte ihre langen Arme. »Ich schlafe an der Tür. Ich wache auf, wenn das Mädchen kommt.« Sie verschwand nach unten und ließ den Heiler mit dem ehemaligen Assassinen allein.
»Droht ein weiterer Anfall?« fragte Nistur gedämpft.
»Nein, das wäre zu früh. Aber unser Freund ist noch lange nicht wieder voll hergestellt, was er auch glauben mag.«
»Und es gibt kein Heilmittel?«
»Keines, das mir bekannt wäre.« Stunbog blinzelte Nistur wissend an. »Aber wenn er stirbt, bist du frei. Ist es nicht das, was du dir wünschst?«
Unwillkürlich glitt Nisturs Hand zu dem Zeichen unter seinem Kinn. »Also weißt du davon?«
»Der Thanalusknoten ist selbst bei denen bekannt, die in den Künsten nicht besonders bewandert sind.«
»Um deine Frage zu beantworten: Zuerst war ich erschüttert und wenig begeistert. Aber jetzt… Ich kann nicht behaupten, daß es mir gefällt, an jemand anderen gebunden zu sein, aber irgendwie mag ich den sauertöpfischen Halunken. Trotz seiner Manieren ist er kein hirnloser Schläger wie so viele Söldner. Er hat sein furchtbares Los mit einer gewissen Würde angenommen, und er hält sich an einen persönlichen Ehrenkodex, was viele glücklichere Menschen nicht tun.«
»Das ist wahr.« Stunbog nahm noch einen Schluck, dann sprach er leise weiter. »Und du, mein Freund? Hattest du dein Leben nicht langsam satt? Hat das Assassinengeschäft dich nicht bereits angeekelt, bevor du angeheuert wurdest, einen ohnehin verfluchten Mann umzubringen?«
»Du übersiehst wenig, alter Mann«, sagte Nistur fast flüsternd.
Stunbog nickte. »Ja. In meinem langen Leben habe ich Menschen und Zwerge und Elfen in jedem Zustand kennengelernt, in jeder Form von Leiden und Zwangslagen. Wenn jemand das Ende eines Lebens erreicht, das er irrtümlich gewählt hat, sind die Zeichen für jeden deutlich zu sehen, der ein Auge dafür hat.«
»Eigentlich habe ich mich immer als Dichter verstanden. Leider leben wir in einer Zeit, in der Poeten nicht mehr dieselbe Wertschätzung genießen wie einst.«
»Traurig, aber wahr«, stimmte Stunbog zu.
»Und was ist mit dir?« fragte Nistur. »Diese Bücher und Abhandlungen über Magie«, er strecke den Arm aus und wies auf die vollgestopfte Kabine, »gehören keinem einfachen Heiler. Du bist mehr, als du scheinst.«
Nach einer langen Pause nickte Stunbog. »Das ist wahr. Einst, als ich sehr jung war, wollte ich ein großer Magier werden. Ich bin weit gereist, um mächtige Zauberer aufzusuchen und ihre Kunst zu erlernen. In meiner jugendlichen Arroganz glaubte ich, ich käme den größten Magiern gleich, jenen, die weit älter und weiser waren als ich. Mit meinem Ehrgeiz und meiner Gier, ihre allermächtigsten Sprüche zu erlernen, beleidigte ich sie. Einer nach dem anderen setzten mich die Zauberer, bei denen ich in die Lehre ging, vor die Tür. Sie schimpften, daß jemand wie ich niemals würdig sein würde, die Prüfung im Turm der Erzmagier anzutreten, und nie in einen der Orden der Magie aufgenommen werden würde. Dumm, wie ich war, glaubte ich, ich könnte auch ohne die Prüfung der Allergrößte werden. Ich dachte, ich brauchte keinen Orden, denn ich fand, daß die Einschränkungen, welche die Orden auferlegten, nur für kleinere Zauberer galten. Ich sehnte mich nach der Freiheit, nur meinen Wünschen zu folgen, ohne die kritischen Wertungen von Gut, Neutral und Böse. Ich gebe zu, daß ich mich zu den skrupellosesten Machenschaften herabließ, um seltene, mächtige Techniken zu erlernen. Ich wagte mich an Sprüche, die meine jugendlichen Fähigkeiten weit überstiegen, Sprüche, die – wenn überhaupt – nur von Zauberern mit viel Erfahrung und großer Charakterstärke angegangen werden sollten. Reife ist für Zauberer ebenso wichtig wie für Regenten oder andere ernsthafte Leute.«
»Ich verstehe«, murmelte Nistur mitfühlend.
»Schließlich war ich so arrogant, so von mir selbst eingenommen, daß andere Magier mich verabscheuten – Magier, die älter, weiser und in manchen Fällen weit böser waren als ich. Denn zu meiner kläglichen Verteidigung muß ich anfügen, daß ich nie daran gedacht hatte, ein Zauberer der Schwarzen Roben zu werden. Meine Fehler waren Ehrgeiz und
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