Mord in Thingvellir
bewegen, als wäre sie gestorben, und ich hatte auch das Gefühl, dass ich sterben würde. Ich versuchte, so gut ich konnte um Hilfe zu rufen, was mir schließlich gelang.«
»Hast du auch einen Engel gesehen?«, fragte der Journalist.
»Ja, die Frau hatte ein Medaillon um den Hals, das aussah wie ein Engel, ein grüner Engel mit großen Flügeln, durch die das Mondlicht schien.«
»Hast du den Mörder gesehen?«
»Ich habe ihn nur von hinten gesehen, seine Schultern und seine Hände, aber ich habe direkt in ihren offenen Mund geblickt und in ihre Augen. Es war so schrecklich!«
Ich werfe Máki die Zeitung zu.
»Was für ein verdammter Schwachsinn!«
»Ja, ich gebe zu, dass das wohl nicht der genialste Artikel in der Geschichte der Zeitung ist«, antwortet Máki entschuldigend.
»Das ist doch der letzte Mist!«
Er zuckt mit den Schultern.
»Abgesehen von der Einfältigkeit zu glauben, dass Tote in dieser Weise Nachrichten aus dem Jenseits schicken«, fahre ich fort, »ist doch völlig klar, dass nichts in dieser Beschreibung zu dem Mord an Soleen passt.«
»Woher weißt du das?«, fragt Máki. »Dieser Idiot von Bezirksverwalter hat nirgendwo öffentlich berichtet, wie sie ermordet worden ist.«
Ich will diese Frage lieber nicht beantworten.
Noch ist es nicht durchgesickert, dass Múhammed mit dem rechtlichen Status eines Beschuldigten verhört wurde. Und schon gar nicht, dass ich seine Verteidigerin bin. Mir fällt im Traum nicht ein, dass ich selbst diese Nachricht ausplaudere.
Der Kellner schiebt mir ein Glas über den Tresen.
Ein doppelter Jackie.
»Findest du es etwa wahrscheinlich, dass jemand Soleen nachts zu einem Ausflug nach Thingvellir überreden konnte und sie freiwillig mit in die Öxará gewatet ist, um sich ertränken zu lassen?«, frage ich höhnisch. »Und der Täter sich nach dem Mord damit abrackert, sie in einen schwarzen Sack zu stopfen?«
»Was weiß ich.«
»Ich weiß, dass du dieses Gewäsch nicht glaubst.«
»Da hast du Recht«, antwortet Máki. »Aber Isländer waren immer schon wild darauf, über Wahrsager, Frauen, die hellsehen und Geschichten aus dem Jenseits zu lesen. Dieser Aufmacher beschert uns riesige Verkaufszahlen übers Wochenende, da kannst du sicher sein.«
»Daran zweifele ich nicht. Aber das ist verantwortungsloser Müll.«
»Prost«, sagt Máki und hebt sein Glas zum Abschiedsgruß.
Ich koste mein brennendes Feuerwasser.
»Aha!«
Und beginne, mich nach einem appetitanregenden Opfer umzusehen.
Manchmal dauert es Stunden, ein brauchbares Einwegvergnügen zu finden. Und die Nacht vergeht verdammt schnell.
Ich klappere ein paar weitere Vergnügungsetablissements ab. Hole mir in jeder Bar eine weitere Ration Jackie. Nehme die Musik wahr, ohne ihr wirklich zuzuhören. Und suche in allen Ecken. Ohne mir länger große Hoffnungen zu machen, doch noch das große Los zu ziehen.
In der letzten Bar für diese Nacht stoße ich auf Halldór. Diesen sauertöpfischen Knaben aus Selfoss.
Er steht vorn im Eingangsbereich bei der Garderobe. Mit einem hellbraunen Trenchcoat im Arm. Und hört einer großen Frau zu, die ein hübsches blaues Kostüm trägt.
Sie redet ohne Punkt und Komma. Hält ihm eine Gardinenpredigt. Weil er sie schon wieder betrogen hat.
»Hi«, grüße ich ihn und lächle.
Aber nicht, weil ich ein Interesse an dem farblosen Kerl hätte.
Ganz im Gegenteil.
»Hallo«, murmelt Halldór. Als ob er neben sich stünde.
Die Blaugekleidete hat sich abgeregt.
»Jetzt hau bloß ab«, sagt sie entnervt zu dem Sauertopf und geht in die Bar zurück. Ihre Kleidung liegt eng an ihrem schlanken, durchtrainierten Körper.
Lecker, lecker!
»Tschühüüss!«
Ich winke Halldór. Und folge dem Mädchen.
»Mir scheint, dass du einen starken Glücklichmacher gebrauchen kannst«, sage ich und setze mich auf den Barhocker neben sie. »Was möchtest du trinken?«
Sie heißt Thórdís. Und hat ihrem Freund endlich den Laufpass gegeben. Halldór. Dieses Mal aber endgültig. Soweit ich verstehe.
»Ich kann ihm nie wieder vertrauen«, sagt sie und kippt einen doppelten Moscow Mule hinunter, als wäre der Wodka Wasser.
»Hat er dich betrogen?«
»Er hat immer vorgegeben, abends arbeiten zu müssen, aber heute Abend habe ich rausgefunden, dass er mit einer im Büro zusammen war.«
»Sei doch froh, dass du ihn los bist.«
»Ja, das bin ich auch«, sagt sie.
Ihr von der Sonne gebleichtes, schulterlanges Haar sieht gesund aus und ist leicht gewellt. Ihr Make-up
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