Mord in Thingvellir
suchen.«
Mit dem Interview wurde ein großes Foto von Grímur, Marta und ihren beiden Zwillingstöchtern veröffentlicht. Eine isländische Vorzeigefamilie, die sowohl weiß als auch christlich ist.
In den letzten Tagen hat der Minister diese Botschaft in Interviews mit anderen Medien wiederholt. Viele haben seine Worte aufgegriffen und sie so ausgelegt, als unterstütze er Gegner einer multikulturellen Gesellschaft. Es wurde sogar verlangt, dass alle Moslems öffentlich bestätigen sollen, dass sie ihren Frauen, Töchtern oder Schwestern völlige Freiheit lassen, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden. Andernfalls sollten sie umgehend des Landes verwiesen werden.
Ein grausamer Mord. Und Furcht vor dem Unbekannten.
Eine gefährliche Mischung.
Múhammed sieht schlechter aus als bei unserer letzten Begegnung. Er wirkt angespannt. Als ob er schlecht schlafen würde. Sein Blick ist unstet.
Er lässt sich nicht anmerken, wie zufrieden er ist, als ich ihm die neuesten Nachrichten bringe. Dass das Oberste Gericht das Urteil des Bezirksgerichts bestätigt hat und dem Bezirkie in Selfoss befohlen hat, mir sämtliche polizeilichen Unterlagen, die zur Mordermittlung gehören, zu überlassen.
»Ich habe mich schon mit dem Amt in Verbindung gesetzt«, füge ich hinzu. »Wir bekommen die Dokumente, sobald die Kopien angefertigt worden sind.«
Er zuckt mit den Schultern.
»Hast du die Übersicht, um die ich dich gebeten habe? Wegen der Telefonate?«
Múhammed öffnet eine Schublade seines Schreibtischs. Zieht eine durchsichtige Plastikhülle heraus, die ein paar weiße Blätter enthält und reicht sie mir.
Es sind die Ausdrucke aus dem Speicher der Telefongesellschaft. Darauf sind alle seine Telefonate vom Freitag, dem 6. und Samstag, dem 7. August, aufgelistet. Die Listen enthalten Informationen über seinen Festnetzanschluss zu Hause sowie über sein Mobiltelefon.
Aber die Nummern allein sagen mir wenig. Ich lege die Seiten wieder auf den Tisch.
»Schreib die Namen aller dazu, die du wegen der Suche nach Soleen angerufen hast. Hinter jede Nummer.«
Er nimmt einen grünen Kugelschreiber aus der Brusttasche seines blauen Overalls und beginnt zu schreiben. Seine Schrift ist groß und deutlich.
Die Liste scheint das zu bestätigen, was Múhammed beim Verhör behauptet hat.
Er hat von seinem Festnetzanschluss ab halb zwölf Uhr am Freitagabend des 6. August insgesamt vier Telefonnummern angerufen. Und mit Gunnhildur, Thorsteinn, Jóhanna und Sigridur gesprochen.
Und dieselben Nummern hat er am Samstagmorgen zwischen acht und neun Uhr wieder angerufen.
»Was sind das für Mädchen? Jóhanna und Sigrídur?«
»Ich habe sie ein paar Mal getroffen, als ich Soleen abgeholt habe, und wusste, dass meine Tochter abends manchmal mit ihnen zusammen war, aber besser kenne ich sie nicht.«
»Welche Handynummer hatte Soleen?«
»Sie hatte kein Handy.«
Ich schiebe die Papiere in meine rotbraune Aktentasche.
»Wie geht es Fadíma?«
»Sie findet, dass wir wieder nach Hause fahren sollen.«
»Wohin nach Hause?«
»Nach Kurdistan. Mein Bruder ist vor einem Jahr dort gewesen und sagt, dass das Leben zwar recht schwierig wäre, aber trotzdem viel besser, als es kurz nach dem Krieg war.«
»Und was meinst du?«
»Ich bin der Ansicht, dass wir keine Zukunft mehr in Island haben. Aber zu Hause herrschen auch keine guten Bedingungen, also weiß ich nicht, was ich machen soll.«
»Zuerst musst du über jeden Verdacht erhaben sein. Ist dirdas klar?«
»Ich fahre nirgendwohin, bevor der Mann nicht gefunden wurde, der meine Tochter umgebracht hat.«
In der Werkstatt steht zurzeit kein Auto zur Reparatur.
»Jetzt habe ich nur noch einen Angestellten«, sagt Múhammed. »Für die anderen Jungs gab es nichts mehr zu tun, weil viele ihre Autos nicht mehr zu mir bringen, seit die Berichte in den Zeitungen waren.«
»Was sagt der Eigentümer dazu? Árni Geir?«
»Er will, dass ich die Werkstatt geöffnet lasse und abwarte, ob sich die Lage nicht bessert.«
»Dann musst du nur …«
»… warten und hoffen und auf meinen Gott vertrauen«, fällt er mir ins Wort. Bitterkeit liegt in seiner Stimme. »Ja, ja, viele haben mir in den letzten Tagen schon gesagt, dass ich warten und hoffen soll.«
Gegen Abend habe ich endlich die Gelegenheit, mir die Fernsehsendung von Cousin Sindri anzugucken. Er hat die Aufnahmen von Eddi Event-Rattes Gästen auf DVD gebrannt. Und auf Papier Fotos von denen ausgedruckt, die ihn am häufigsten
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