Mord in Thingvellir
gewährt, ohne dass er sich daran erinnern könnte.
Und wäre jetzt gekommen, um von ihm Unterhalt zu fordern.
Ich reiche ihm meine Visitenkarte.
»Oh.«
Er lässt sie auf den Tisch fallen und umfasst mit beiden Händen seine Tasse. Die Hände zittern.
»Erzähl mir von Soleen.«
»Ich habe der Polizei schon alles erzählt, was ich weiß.«
»Ich glaube nicht.«
»Wie meinst du das?«
Ich lasse meine Eingebung bestimmen, wo’s langgeht. Lasse es auf einen Versuch ankommen.
»Du wusstest, dass Soleen schwanger war.«
»Warum sagst du das?«
»Sie hat dich doch angerufen.«
»Woher weißt du das?«
»Weil sie von ihrem Handy aus angerufen hat.«
»Wer sagt das?«
»Das Handy speichert alle Telefonate. Das solltest du doch wissen.«
Thorsteinn stöhnt schwer.
»Nirgendwo hat man seine Ruhe vor dem verdammten Großen Bruder«, sagt er. Und schiebt die Kaffeetasse von sich weg.
Bingo!
»Erzähl mir von dem Telefonat«, fahre ich fort, ohne eine Miene zu verziehen.
»Das Mädel war total am Ende und musste mit jemandem reden, und als sie Gunnhildur nicht erreichen konnte, hat sie mich angerufen.«
»Mit jemandem reden?«, wiederhole ich giftig und beuge mich vor. Ganz nah an sein Gesicht. »Soleen musste nur mit dir reden, Thorsteinn, und mit niemandem sonst! Das war dein Baby!«
»Ich habe damit nichts zu tun.«
»Blödsinn.«
»Nein, ich hatte nie die Chance, sie zu vögeln.«
»Glaubst du, dass ich dir das abnehme?«
» Fuck you « , murmelt er.
»Sieh mich an, wenn ich mit dir rede.«
Thorsteinn guckt mich mit verschlafenen Augen an.
»Das war dein Baby!«, wiederhole ich.
»Nein, und bald kann ich es auch beweisen.«
»Verdammt, bist du abgebrüht.«
»Die Polizei hat eine Probe von mir genommen, um sie mit dem Embryo zu vergleichen.«
»Ja, ja.«
»Sie wird beweisen, dass ein anderer Soleen geschwängert hat und nicht ich.«
Ich starre Thorsteinn an. Er scheint sich ganz sicher zu sein.
»Wer käme denn sonst in Frage?«
»Ich hatte immer den Verdacht, dass sie noch mit anderen schläft, man merkt das, wenn diese Weiber erst mal in Gang gekommen sind, aber ich habe nie herausgekriegt, wer vor mir auf ihr drauf war.«
»Was hat sie dir gesagt? Als sie angerufen hat?«
»Sie wollte mich treffen, um jemandem von diesem Geheimnis zu erzählen, ich meine, jemandem, dem sie vertrauen konnte und der nicht sofort zu diesem Mullahfritzen petzen gehen würde.«
»Warum kannst du Múhammed nicht ausstehen?«
»Er ist ein gemeiner Blödmann, der mich wegen nichts von meiner Arbeit weggejagt hat.«
»Wo wollte Soleen dich treffen?«
»Im Hressó, dem Café in der Innenstadt.«
»Wann genau?«
»Nachmittags gegen drei, halb vier.«
»Am Freitag, dem 6. August?«
»Ja.«
»Und da hat sie dir von dem Baby erzählt?«
»Sie sagte, dass sie schwanger war und ihr Vater total ausrasten und sie zusammenschlagen würde. Die Arme war völlig fertig.«
»Hast du ein Alibi nach 18 Uhr an diesem Tag?«
»Ich war am Abend und in der Nacht auf der Piste unterwegs und weiß noch, dass ich jede Menge Leute in der Stadt getroffen habe.«
»Bist du sicher, dass du dich noch erinnerst, wann und wo du wen getroffen hast?«
Er beugt sich schweigend über seine Kaffeetasse.
»Natürlich nicht. Du hast kein richtiges Alibi.«
» Fuck you « , murmelt er wieder.
»Hast du irgendwelche Sachen von Soleen?«, frage ich.
»Nein.«
»Ihr Tagebuch zum Beispiel? Oder ihr Handy?«
Thorsteinn hebt ruckartig den Kopf. Als würde er aus einem tiefen Traum aufwachen.
»Ihr Handy?«, wiederholt er meine Worte.
»Es ist noch nicht gefunden worden.«
»Aber du hast doch vorhin gesagt …«
»Was habe ich vorhin gesagt?«
Eine leichte Röte breitet sich auf seinen bleichen Wangen aus. Wie zum Beweis, dass noch ein winziges bisschen rotes Wikingerblut in seinen Andern fließt.
»Hast du mich verarscht?«
»Nein, überhaupt nicht«, antworte ich. »Ich habe dir nur erlaubt, dich selbst zu verarschen.«
»Fuck you.«
Er steht auf. Geht wankend auf die Tür zu.
Ich rufe höhnisch hinter ihm her:
»Pass auf die Steinchen auf!«
30
Endlich nehme ich mir die Akten von Klettur vor. Auf der Suche nach Fakten, die die Gespensterträume von Elín Edda vertreiben. Ihren Einfallsreichtum in die tiefste Dunkelheit jagen. Ein für alle Mal.
Die Akten bestehen vor allem aus Unterlagen, die zum Betrieb des Sommerhotels gehören. Alle möglichen Rechnungen. Anfragen. Reservierungen von Zimmern oder Buchungen von
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