Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
hat. Über den Kopf des Mannes war ein großer Plastiksack gestülpt und mit einer Schnur um den Hals luftdicht abgeschlossen. Die Obduktion ergab einen Tod durch Kohlenstoffmonoxid-Vergiftung. Im Keller gab es jedoch keine Gasleitung, nur im dritten Stock stand ein Gasherd.
Der Tod des Drechslergehilfen war bald geklärt: Er hatte vom Herd kurzerhand den Kunststoffschlauch entfernt, den Plastiksack mit Leuchtgas gefüllt, den Schlauch wieder angeschlossen und war dann zum Sterben in den Keller gegangen. Dieser eigenartige Suizid war von den Wiener Tageszeitungen in großer Aufmachung gebracht worden: „Der Tote im Nylonsack“, „Leiche hatte Nylonsack über dem Kopf“ und so weiter.
Die Ermittler vermuten nun, dass Karoline Mitteregger sich von den Schlagzeilen beeinflussen ließ und sich den Drechslergehilfen zum Vorbild nahm. In ihrer Wohnung finden sie jedenfalls etliche Plastiksäcke von unterschiedlicher Größe. Gemeinsam mit dem Toxikologen Gottfried Machata experimentieren sie damit: Sie entfernen den Brenner vom Gasherd und schließen die Säckchen der Reihe nach an die Austrittsdüse an, worauf die Plastikbeutel sich innerhalb weniger Sekunden wie Luftballons aufblähen. Wenn man sie mit der Hand zuhält, strömt das Gas nur langsam aus. Bindet man sie mit einer Schnur zu, bleibt das Gas sogar für mehrere Stunden in den Säckchen.
Ein Kriminalbeamter marschiert damit von der Wohnung der Mittereggers zum Ziegelteich. Er legt die zweieinhalb Kilometer in rund 35 Minuten zurück. Beim Teich angekommen, ist der Beutel noch immer prall gefüllt. Erst jetzt ist klar, wie sich die Tragödie abgespielt haben muss: Während ihr Mann schlief, stand Karoline Mitteregger gegen 1.30 Uhr nachts auf, füllte am Herd einen Plastiksack mit Stadtgas und ging mit dem Tod in der Hand zum Ziegelteich. Dort stieg sie ins Wasser, atmete das Gas in tiefen Zügen ein, wurde nach wenigen Sekunden bewusstlos, sackte zusammen und ertrank. Den Plastikbeutel hatte sie sich im Gegensatz zum Drechselgehilfen nicht über den Kopf gestülpt, da sonst ihre Brille abgestreift worden wäre.
Auch das Motiv für den ungewöhnlichen Suizid ist plausibel: Für ihr Vorhaben musste die Frau sich nachts heimlich fortstehlen, weil tagsüber die stets anwesenden Angehörigen ihren Freitod verhindert hätten. Zudem galt Karoline Mitteregger als ausgezeichnete Schwimmerin – ohne Betäubung durch das Gas hätte vermutlich ihr Lebenswille sie im letzten Augenblick überwältigt. Zusätzlich bewies die Selbstmörderin Verantwortungsgefühl: Ein aufgedrehter Gashahn in der Wohnung hätte ihren Mann und ihre Kinder mit in den Tod gerissen.
Blaurote Totenflecke
Die Ermittlungen in einem anderen Fall verlaufen konträr: Was zunächst wie ein Selbstmord aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Mord. Als Doppelmord sogar.
Sommer 1962. Dr. Norbert Wölkart, der spätere Vorstand des Gerichtsmedizinischen Instituts Salzburg, und Gerichtschemiker Dr. Gottfried Machata werden zum Lokalaugenschein in eine Wiener Wohnung gerufen. Ein Nachbar hat Gasgeruch im Haus bemerkt und das Gaswerk sowie die Polizei verständigt. Nachdem der Hausmeister die Wohnung aufgesperrt und man die auf dem Küchenboden liegende tote junge Frau gefunden hat, scheint der Fall für die gerichtsmedizinischen Laien klar: „Die hat ihren Kopf in den Backofen gelegt“, heißt es, und man dreht den geöffneten Gashahn zu. Die beiden Forensiker Machata und Wölkart aber sehen auf den ersten Blick, dass etwas nicht stimmt: dunkelrote Totenflecke.
Wäre die Frau an einer Kohlenstoffmonoxid-Vergiftung gestorben, hätten die Totenflecke hellrot sein müssen, denn das farb-, geruch- und geschmacklose Gas verbindet sich 200mal leichter als Sauerstoff mit dem Hämoglobin in den roten Blutkörperchen. Das Blut wird arteriell und färbt sich hellrot. Die Folgen: Blitzschnelle Blockade des Sauerstofftransports, Bewusstlosigkeit, Erstickungstod. Und hellrote anstatt blauroter Totenflecke.
Die Frau auf dem Küchenboden ist übrigens nackt und hält einen Gasanzünder in der Hand. Neben ihrer Leiche befinden sich ein zerbrochenes Glas und Flüssigkeitsreste mit einem Schuhabdruck. Alles macht den Eindruck eines lediglich vorgetäuschten Suizids, eines bewussten Arrangements, mit dem ein Mörder die Ermittler in die Irre führen will.
Die Obduktion ergibt, dass die Frau im Akt des Erbrechens erstickt ist, was eigentlich mit einer Leuchtgasvergiftung in Einklang zu bringen wäre,
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