Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
Freifrau. Ihren richtigen Namen hat sie offenbar absichtlich verschleiert: Chorinsky – eines der einflussreichsten Adelsgeschlechter der Donaumonarchie.
Von Burchtorff weiß nun, dass er in ein Wespennest wird stechen müssen, denn Mathildes Ex-Mann Gustav ist der ältere Sohn von Gustav Ignaz Graf Chorinsky, der zu dieser Zeit das Amt des k. k. Statthalters von Niederösterreich bekleidet und damit faktisch Stellvertreter von Kaiser Franz Joseph ist.
Doch der Polizeidirektor, ein gestandener Bayer, lässt sich nicht beirren und unterrichtet Graf Chorinsky senior telegrafisch vom plötzlichen Ableben seiner Schwiegertochter, ohne dabei deren gewaltsamen Tod zu erwähnen. Der hohe Gast trifft am 25. November aus Wien auf dem Münchener Polizeipräsidium ein. Nachdem von Burchtorff ihm von Angesicht zu Angesicht die näheren Todesumstände seiner Schwiegertochter dargelegt hat, trägt er ihm seine Begleitung in sein Hotel an. Dem Grafen ist die Eskorte sichtlich unangenehm, doch der Polizeidirektor lässt sich die Gefälligkeit aus guten Gründen nicht nehmen.
So schlägt der Graf einen Umweg vor, damit er, wie er sagt, die Denkmäler auf dem Promenadeplatz besichtigen könne. Dass er wenig später achtlos daran vorübergeht, registriert von Burchtorff freilich. Ihm fällt auch der elegante junge Herr auf, der Chorinsky senior Zeichen macht und auffallend nervös reagiert, als er dem Polizeidirektor vorgestellt wird. Es ist Graf Chorinsky junior, dessen Äußerungen im weiteren Gespräch darauf schließen lassen, dass er seine verstorbene Frau aus tiefstem Herzen gehasst hat. Er weigert sich hartnäckig, ihre Leiche oder auch nur ihr Zimmer zu sehen.
Da verabschiedet Herr von Burchtorff sich und ersucht Vater und Sohn, am Abend noch einmal in sein Büro zu kommen. In der Zwischenzeit lässt er die beiden beobachten und holt telegrafisch Informationen aus Wien ein. Dort weiß man, dass der junge Graf ein Hallodri ist, hohe Schulden hat und seine geschiedene Frau heimlich ausspionieren ließ. Das genügt dem Polizeidirektor. Er setzt sich mit dem Untersuchungsrichter ins Einvernehmen und erwirkt einen Haftbefehl gegen Gustav Graf Chorinsky. – Welcher Skandal! Man stelle sich vor: Ein Mitglied der vornehmsten österreichischen Aristokratie in München arretiert!
Doch von Burchtorff liegt goldrichtig: Bei der Leibesvisitation des erlauchten Häftlings findet man unter anderem vier Fotografien einer jungen Dame. Die Bilder werden der Witwe Hartmann und den Hotelbediensteten vorgelegt, worauf alle Zeugen bestätigen, dass es sich um Porträts jener mysteriösen Fremden handelt, die sich als „Baronin Vay“ ausgegeben hat. Ihr wirklicher Name lautet Julie Ebergenyi von Telekes, ungarische Landadelige, wohnhaft in Wien, Innere Stadt, Krugerstraße.
Von Burchtorff benachrichtigt die österreichischen Behörden, und in der Donaumetropole begibt sich nun Polizeikommissär Karl Breitenfeld in die Krugerstraße, um die 25-jährige Julie Ebergenyi unter dem dringenden Verdacht des Giftmordes zu verhaften. Ganz adelige Stiftsdame – sie hat sich den Titel vor kurzem im Brünner Damenstift Maria Schul erkauft – erbleicht sie und ringt nach Worten. „Ich bin unschuldig!“, stößt sie schließlich hervor, sinkt in einen Fauteuil und schüttelt sich in Weinkrämpfen.
Als sie nach wenigen Minuten ihre Contenance wiedergewinnt, ändert sie ihre Strategie und lässt sich anstandslos abführen. Im Polizeigefängnis legt Julie Ebergenyi ein Geständnis ab: „Ich habe bei einem Fotografen unbemerkt Zyankali mitgenommen und es am Nachmittag des 21. November der Gräfin Mathilde von Chorinsky in den Tee gestreut. Als ich gegangen bin, ist sie schon zwischen Kanapee und Tisch gelegen. Ob sie zu diesem Zeitpunkt schon tot war, weiß ich nicht.“
Nach Einzelheiten befragt, ändert Ebergenyi abermals ihre Strategie. Nun leugnet sie plötzlich wieder die Tat und deutet an, dass jemand anderer dahintersteckt, den sie jedoch um keinen Preis verraten würde. Aber dem Polizeikommissär und dem Untersuchungsrichter schwant ohnehin, wen sie meint: den in München verhafteten Gustav Graf Chorinsky.
In weiterer Folge will Ebergenyi glauben machen, dass Gräfin Mathilde das Gift selbst eingenommen habe – aus Gram über ihren geschiedenen Gemahl, für den sie, die ehrenwerte Stiftsdame, eine zärtliche Zuneigung hege. „Als ich die Gräfin davon unterrichtete, beging sie vor meinen Augen Selbstmord, um sich an mir zu rächen“, lügt
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