Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
die Verdächtigte sinngemäß. Denselben abwegigen Standpunkt vertritt sie auch im Prozess, der ihr im April 1868 am Wiener Landesgericht gemacht wird. Sie wird zu 20 Jahren schwerer Kerkerstrafe verurteilt. Ihr Liebhaber, der Hintermann des Meuchelmordes Gustav von Chorinsky, muss sich zwei Monate später vor dem Schwurgericht in München verantworten.
Ehe wider die Etikette
Das ohne falsche Rücksichten geführte Doppelverfahren wird zur Nagelprobe für die Donaumonarchie. Die kritische Berichterstattung, die das alte Feudalsystem in Frage stellt, sowie die spöttischen Karikaturen, die sich an Details aus dem Intimleben des verbrecherischen Paares ergötzen, verunsichern die Öffentlichkeit. Die Bevölkerung ist entsetzt von der Amoral und der Niedertracht zweier Mitglieder des Hochadels, dem es seinerseits nicht mehr gelingt, die Pikanterien des Falles zu vertuschen. Jetzt kommt die ganze Wahrheit ans Tageslicht:
Der zum Zeitpunkt seiner Festnahme 35-jährige Gustav Graf Chorinsky, ein leichtsinniger Feschak mit standesgemäßer, aber wenig rühmlicher Offizierskarriere lernt 1858 bei der Garnison in Linz seine spätere Frau, die aus München stammende Kaufmannstochter Mathilde Ruef, kennen. Das hübsche, wohlbeleumundete Mädchen ist eine talentierte Schauspielerin – eine bezaubernde Bühnenerscheinung, wie es heißt, in die sich der Geck sofort verliebt. Doch Mathilde lässt sich von seinen stürmischen Werbungen nicht erweichen und weist ihn, als er ihr einen Heiratsantrag macht, mit dem Hinweis auf den Standesunterschied ab. Der Galan aber bleibt hartnäckig. Wenige Wochen später gelingt es ihm, sich mit Mathilde zu verloben.
Obwohl der junge Graf ständig in Geldnöten steckt, hält seine Braut eisern zu ihm und unterstützt ihn auch finanziell. Im Februar 1859 muss er dann seinen Dienst bei der Armee quittieren. Mathilde Ruef beendet ihre Bühnenlaufbahn, und das Paar lässt sich in der Nähe von Salzburg nieder. Diese offen gelebte Beziehung seines Sohnes zu einer Bürgerlichen missfällt wiederum Graf Chorinsky senior, der die beiden von der Polizei trennen lässt. Der Vater macht seinen ganzen Einfluss geltend und setzt die nochmalige Aufnahme seines Sohnes in die k. k. Armee durch.
Gustav wird nun zu einem in Italien stationierten Regiment berufen und bestellt Mathilde heimlich nach Verona, wo sie eine Totgeburt erleidet. Um die Eltern für seine Verlobte einzunehmen, überredet er Mathilde, zum katholischen Glauben überzutreten. Aber die Chorinskys bleiben stur, worauf Gustav zum Trotz in der päpstlichen Armee anheuert und seine Braut im Vatikan zum Altar führt. Von so viel Schneid beeindruckt, lenken die Eltern ein, und nach der großen Aussöhnung hätte alles ein gutes Ende nehmen können. 1860 aber kommt die Schlacht bei Castelfidardo dazwischen: Die päpstliche Armee unterliegt, und Gustav verliert seine militärische Verwendung. Das Paar geht nach Heidelberg.
Ohne berufliche Aufgaben und standesgemäßes Einkommen bricht nun wieder der liederliche Charakter des älteren Chorinsky-Sohnes durch. Der jüngere, Carl Graf Chorinsky, ist übrigens ein ehrbarer Jurist und wird später Landeshauptmann von Salzburg und sogar Präsident des Oberlandesgerichtes von Wien. Doch weiter in Gustavs Biografie: Er ergeht sich in heftigen Disputen mit Mathilde und wird auch handgreiflich gegen sie. Es folgt die Auflösung des gemeinsamen Haushaltes im November 1861, und der junge Graf bittet seinen Vater erneut, ihm den Eintritt in die österreichische Armee zu vermitteln. Diesmal allerdings sind die Interventionen vergebens.
Eine Weile lang schreibt Gustav noch Briefe mit geheuchelten Liebesbezeugungen an seine Frau, bis er schließlich die Scheidung verlangt. Aber Mathilde, die, wie ihre Tagebucheintragungen beweisen, ihren Mann aufrichtig liebt, möchte nicht einwilligen. So steigert sich Gustavs Abneigung in kurzer Zeit zu abgrundtiefem Hass. Er schickt Mathilde nicht einen müden Kreuzer, zwingt sie, ihren Schmuck zu verkaufen, und gibt ihr den Rat, entweder Selbstmord zu begehen oder sich als Dirne zu verkaufen.
In dieser schrecklichen Situation flieht Mathilde verzweifelt zu ihren Schwiegereltern, und siehe da, das Blatt wendet sich: Der Sohn, um dessen schlechte Charakterzüge man weiß, wird verstoßen, während die junge Gräfin liebevoll wie eine leibliche Tochter aufgenommen wird. Aber Chorinsky fasst wieder Fuß, als 1884 der Deutsch-Dänische Krieg ausbricht und Österreich-Ungarn den
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