Mord inclusive
all dem Zeug?« Meine Frage war natürlich rein rhetorisch.
»Ich habe mich danach erkundigt. Er arbeitet in einem Kinderkrankenhaus und verschenkt dort gern kleine Souvenirs an seine jungen Patienten. Er meint, was er von hier mitnimmt, könnte für die etwas größeren Kinder geeignet sein. Außerdem macht ihm das Handeln so viel Spaß. Er sagt, das sei besser als Glücksspiel. Und billiger dazu.«
Ich musste lachen.
Yvonne nickte Ben, Lydia und Jane zu. Das Mädchen trug einen Hut und hatte wieder ihre große dunkle Brille aufgesetzt. »Ich wünschte, ich wüsste, was sie quält. Hoffentlich sind sie bald in ihrer Maschine nach Australien unterwegs. Sonst bekommt die Kleine noch einen Nervenzusammenbruch.«
Da konnte ich ihr nur zustimmen. Wahrscheinlich dachten die drei genauso, denn sie verließen uns, kaum dass wir von Karnak im Kairoer Flughafen angekommen waren. Ihr Anschlussflug nach Wien sollte in Kürze starten, sodass sie das Nachmittagsprogramm, das man für uns organisiert hatte, nicht mehr wahrnehmen konnten. Etwas frustriert winkte ich ihnen zusammen mit den anderen ein Lebewohl zu und sah ihnen nach, wie sie zum nächsten Terminal hetzten. Ich wünschte ihnen alles Gute, aber wie Yvonne hätte auch ich ihre Geschichte gern erfahren.
Kyla und ich mussten um drei Uhr morgens zum Flugplatz fahren, daher verabschiedeten wir uns bereits am Abend von Anni. Ich übergab ihr einen Umschlag mit dem vorgesehenen Trinkgeld, das aus meinem Wettgewinn von fünfundzwanzig Dollar und allen ägyptischen Pfund bestand, die ich noch übrig hatte. Das war nicht so viel, wie sie verdient hätte, aber ich war sicher, dass Kylas Umschlag die Summe enthielt, die ich mir nicht leisten konnte. Außerdem gab ich ihr ein Blatt, das ich aus meinem Notizbuch gerissen hatte.
»Hier sind meine E-Mail-Adresse und meine übrigen Daten. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden, wie es Alan geht?«
»Natürlich«, sagte sie und sah mich mit ihren dunklen strahlenden Augen voller Verständnis an.
Von Kairo nach Frankfurt, von Frankfurt nach Chicago, von Chicago nach Austin. Etwa vierundzwanzig Stunden später war ich in Texas und hatte nach weiteren knapp zwölf Stunden wieder vor meiner Klasse zu stehen. Völlig erschöpft und abgekämpft fiel ich ins Bett und stellte mich darauf ein, in den Alltag zurückzukehren.
Zwei Tage später teilte mir Anni wie versprochen mit, Alan sei aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ihre Mail war freundlich, aber kurz. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Er hat im Fieber nach Ihnen gerufen oder etwas Ähnliches, wäre nett gewesen. Ich glaubte nicht, dass ich ihn je wiedersehen würde. Ich konnte keinen Kontakt zu ihm aufnehmen und hätte auch nicht gewusst, was ich ihm sagen sollte. Entschuldigung, dass ich Ihnen einen Stein an den Kopf geworfen habe, schien mir nicht gerade passend.
Bald lief alles wieder im alten Trott. Einige Wochen später besuchten Kyla und ich Eeyore’s Birthday Party , ein Fest, das alljährlich im April stattfindet, für das Austin berühmt ist und das die schrägsten Typen anzieht. Man weiß nie genau, wem man dort begegnet – Hippies der neuen Generation, die halb heimlich Joints rauchen, einem Transvestiten in knallblauen Hotpants und mit einem Bart wie ein Einsiedler aus dem Gebirge oder ein paar spindeldürren Frauen in Feenkostümen.
Dort stießen wir auf meinen Ex Mike und dessen neue Braut. Ich schaute mir die beiden an – die sorgsam gebügelten Klamotten, die glitzernden Diamanten an Hals und Arm, die manikürten Nägel. Das passte zu ihm.
Ich lächelte kalt, sagte Hallo, ging vorbei und genoss schon die giftigen Bemerkungen, die ich Kyla gegenüber machen würde, wenn sie außer Hörweite waren. Nach zehn Schritten wollte ich gerade mit ihrer künstlichen Bräune anfangen, da spürte ich plötzlich den Stachel nicht mehr. Rachegelüste hatte ich noch immer, aber dem Verlust trauerte ich nicht mehr nach. Es ging mir richtig gut. Ich sah, wie zufrieden Kyla darüber war, die sich einen Seitenhieb auf den zur Schau gestellten Busen nicht verkneifen konnte.
Als ich an einem Samstagnachmittag Anfang Mai auf meiner Veranda saß, Eistee trank und Schülerarbeiten korrigierte, klingelte das Telefon. Ich nahm ab, noch ganz von der traurigen Orthographie und der jämmerlichen Grammatik auf dem Blatt vor mir gefangen genommen. Mein roter Kugelschreiber schwebte in der Luft.
»Hallo, Jocelyn? Hier ist Alan Stratton.«
Ich erstarrte.
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