Mord inclusive
Fotograf mit einer Kamera, dessen Objektiv die Länge einer Salami hatte, an Anni heran. Sie begrüßte ihn mit Namen und erklärte uns, WorldPal habe hier ein Gruppenfoto vorgesehen.
»Es ist der einzige Ort auf der ganzen Reise, wo für Sie diese Gelegenheit besteht. Sie müssen kein Foto kaufen, aber die Bilder werden fertig sein, bevor wir von hier wegfahren.«
Niemand hatte etwas einzuwenden, nicht einmal Jerry. Alle waren in Hochstimmung. Allein schon hier zu sein war ein tolles Abenteuer. Wir bauten uns in drei Reihen auf den Stufen des Tempels auf. Alan stand neben mir und Kyla stellte sich an seine andere Seite. So machte es den Eindruck, als seien wir drei gemeinsam glücklich und zufrieden. Flora und Fiona waren vorn neben Kathy und Jerry, die selbst auf einem Foto um Abstand von den beiden alten Frauen bemüht waren. Kathy runzelte die Nase, als ob sie etwas Schlechtes rieche, aber sie schaute oft so, und es musste also nichts bedeuten. Der Fotograf löste zweimal aus und hatte das Bild im Kasten.
Die Außenmauern des Tempels und selbst die sie umgebenden Steine waren von der ursprünglichen Felswand abgeschnitten und dann mit erstaunlicher Präzision wieder zusammengefügt worden. Aus der Ferne war der Eindruck perfekt, nur aus der Nähe betrachtet, wirkte das Ganze wie ein Mosaik.
Während uns Anni direkt vor die riesigen Kolosse führte, gab sie uns ihre Erläuterungen: »Dieser Komplex ist im 13. Jahrhundert v. Chr. errichtet worden. Damit sollten nicht nur die Götter geehrt, sondern auch den Nubiern die Macht und Stärke Ägyptens demonstriert werden. Jedoch bis zum 19. Jahrhundert n. Chr. waren die Tempel vergessen und ganz im Sand versunken. Die Legende berichtet, ein kleiner Junge habe mit einem Ball gespielt und diesen so hoch geworfen, dass er oben auf der Felswand liegen blieb. Als er die Sanddünen hinaufstieg, um ihn sich zurückzuholen, sah er, dass der Ball hinter einem riesigen gemeißelten Kopf lag. Später habe er diese Entdeckung dem Schweizer Forscher J. L. Burckhardt gezeigt. Der Junge soll Abu Simbel geheißen haben, weshalb die Europäer, die die Tempel dann ausgruben, ihnen seinen Namen gaben.«
Wir schauten hinauf und versuchten uns vorzustellen, wie hier einmal eine so dicke Sandschicht gelegen hatte, dass nur der Kopf des Pharaos noch herausschaute. Anni fuhr fort: »Ramses hat diesen Tempel so anlegen lassen, dass die Sonne zweimal im Jahr hineinscheinen und die Figuren von Amun-Re, Re-Harachte und Ramses selbst beleuchten sollte. Der Kopf von Ptah, dem Gott der Unterwelt, blieb, wie es sich gehört, stets im Dunkeln. Wissenschaftler glauben, dass der Zeitpunkt, an dem die Sonne in den Tempel scheint, sich um einen Tag verschoben hat, weil der Tempel jetzt wesentlich höher liegt.«
Ich schaute zu den stolzen, blicklosen Augen des Ramses hinauf und fragte mich, was er wohl von der Veränderung hielte. Als er diesen Tempel hoch an einer Felswand inmitten von Wüste und Sonne anlegen ließ, war der Nil nur ein blaues Band, das weit unten durch Stromschnellen rauschte. Jetzt, da die riesige blaue Fläche des Nasser-Sees in der Sonne glitzerte und den Himmel spiegelte, schien mir, dass möglicherweise selbst Ramses das Wasser höher gewertet hätte als seinen eigenen Ruhm. Vielleicht aber auch nicht.
Aus der Nähe sah man all die Einzelheiten – die fein gemeißelten Paviane und kleinen Menschenfiguren, Gefangene und Krokodile. Obwohl man den Tempel verlegt hatte und er jetzt von kameraschwingenden Touristen umschwärmt wurde, war die Atmosphäre des antiken Königreichs aus einer anderen Welt geblieben.
Anni verhandelte mit den Wachmännern am Tempeleingang, und nach kurzem Warten konnten wir dem Hello-Kitty-Schirm ins Innere folgen. In den schwach beleuchteten Gemächern wehte kein Wind, was eine Erleichterung war. Als sich unsere Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, schauten wir uns einige der einzigartigen Steinmetzarbeiten an, auf die Anni uns hinwies. Eigentlich durften die Reiseführer im Inneren nicht tätig werden, weil das den Besucherstrom aufgehalten hätte, aber es waren noch nicht allzu viele Gäste da, und so durfte sie uns die Höhepunkte zeigen. Die gewaltigen Stützpfeiler waren dicker als Baumstämme, von Reliefs und Farbresten bedeckt. Als er neu war, musste der Raum leuchtend ausgemalt gewesen sein.
Dann traten wir wieder ans Tageslicht und folgten Anni zu einem kleineren Tempel, der der Kuhgöttin Hathor und Ramses geliebter Frau,
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