Mord inclusive
über den Marktplatz. Er begann leise und schwoll zu solcher Stärke an, dass sich mir die Haare sträubten. Ben gab seiner Frau ein Zeichen, die sofort den Arm um Janes Schultern schlang, und rannte hinaus.
Ich hinter ihm her. Wenn ich meinem Instinkt gefolgt wäre, hätte ich mich allerdings hinter einem Sofa verkrochen und abgewartet, bis Entwarnung gegeben wurde.
Auf dem kleinen Marktplatz brach Chaos aus. Touristen und Händler rannten umher, um herauszubekommen, was geschehen war. Ein zweiter Schrei drang aus einem kleinen Laden mitten in der Reihe. Dorthin rannten wir und trafen unmittelbar nach Alan ein, der die Gaffer beiseiteschob, als gehöre der Platz ihm. Wo war Kyla? Aufgeregt schaute ich mich nach ihr um. Als ich schon fast in Panik verfallen wollte, tauchte sie vom anderen Ende der Reihe der Verkaufsbuden auf, ein Päckchen Ansichtskarten in der Hand. Ich atmete erleichtert auf und wandte mich wieder dem Geschehen zu.
Jetzt kam Alan aus dem kleinen Laden heraus, den Arm schützend um eine Frau gelegt, die hysterisch schluchzte. Er sagte ein paar Worte zu ihr, und sie sprudelte etwas auf Französisch hervor. Als ich seinen hilflosen Blick sah, trat ich an die beiden heran.
»Sie sagt: ›Er ist tot, tot und voller Blut‹«, übersetzte ich rasch.
»Sie können sich mit ihr verständigen? Dann gehen Sie mit ihr ins Restaurant und bleiben Sie bei ihr. Ich bin gleich zurück.« Er schob sie mir zu und war schon wieder verschwunden.
»Wo wollen Sie denn hin?«, rief ich ihm aufgebracht nach. Der traute sich was, mir Befehle zu erteilen. Hilflos schaute ich die schluchzende Frau an.
Da trat Kyla auf mich zu. »Ich mache das. Geh du zu Alan.« Wortlos führte sie die Frau fort.
Ich wand mich durch die Gaffer, ohne mich darum zu kümmern, ob ich unhöflich erschien, und ohne von Händlern bedrängt zu werden. Ich tauchte unter einem Ellenbogen durch und schaute dann über die Schultern zweier Männer. Groß zu sein war manchmal von Vorteil.
In diesem Fall war Vorteil wohl nicht das rechte Wort. Da lag ein Ägypter mit dem Gesicht nach unten zwischen zwei Souvenirständern. Aus seinem Genick sickerte ein wenig Blut, das den Kragen seiner Galabiya durchtränkt hatte. Aber es reichte nicht aus, um auf den Fußboden zu gelangen. Hatte man ihn erschossen? Eine Waffe war nicht zu sehen. Kaum vorstellbar, dass eine so kleine Wunde tödlich gewesen sein sollte. Alan kniete mit grimmiger Miene neben ihm auf dem staubigen Boden. Er suchte an der Hauptschlagader nach dem Puls, hob danach sacht die Hände des Opfers auf, schaute sich Handflächen und Fingerspitzen an. Dann sagte er etwas auf Arabisch zu einem Mann, der neben ihm kniete. Seit wann sprach Alan Arabisch? Wie konnte ein Kerl aus Dallas, ein Witwer, der zum ersten Mal nach Ägypten reiste, weil er das mit seiner inzwischen verstorbenen Frau geplant hatte, Arabisch sprechen? Als er den Kopf hob, bemerkte er mich, und unsere Blicke trafen sich für einen Moment. In diesem Bruchteil einer Sekunde sah ich meine eigenen Zweifel und mein Misstrauen in seinen Augen. Dann stand er rasch auf. Die traurige Szene noch einmal mit einem Blick umfangend, griff er nach meiner Hand.
»Kommen Sie. Wir müssen hier weg«, sagte er mir leise ins Ohr.
Ich widersprach nicht.
Eilig gingen wir über den Marktplatz zu dem Restaurant, wo Kyla uns mit der Französin erwartete, die sich noch immer nicht beruhigt hatte. Ich kniete mich neben sie und sprach ruhig in ihrer Muttersprache auf sie ein. Vor allem wollte ich wissen, wo ihre Begleiter seien.
Sie hatten mehr Zeit in den Tempeln verbringen wollen, erklärte sie, und ich übersetzte rasch für Kyla und Alan. Dabei war sie müde geworden und hatte die Tempel allein verlassen, um sich ein wenig in den kleinen Läden umzusehen. Sie betrat den ruhigsten, wo niemand wartete, niemand rief und sie belästigte. Sie glaubte, der Eigentümer sei einen Moment hinausgegangen, und war froh, sich all die petit souvenirs einmal in aller Ruhe anschauen zu können. Da stieß sie mit dem Fuß gegen etwas am Boden und sah ihn liegen. Tant de sang ! So viel Blut! Sie begann wieder zu schluchzen. Als sie aufblickte, kamen ihr Mann und ein paar Freunde gelaufen. Erleichtert stürzte sie ihnen in die Arme.
»Wo haben Sie Französisch gelernt?«, fragte Alan beiläufig.
»Ihre Mutter ist Französin«, antwortete Kyla, weil ich zögerte. »Sie spricht die Sprache fließend, die Glückliche. Auch Italienisch. Sie ist praktisch in Italien
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