Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
beunruhigt, daß es kein offensichtliches Motiv gibt. Er war ein unangenehmer Kerl, aber wenn jeder, der in diese Kategorie gehört, ermordet werden würde, hätten wir einen gewaltigen Bevölkerungsschwund. Es reicht nicht. Er hat allein gelebt. Er war selbständig und auf seine Weise unabhängig. Das Cottage gehörte ihm. Er hat es bar gekauft und dem Makler gesagt, das Geld habe er von einem älteren Verwandten geerbt. Aber Verwandte konnten wir bisher nicht auftreiben. Warum sollte er jemandem so im Weg gewesen sein, daß der ihn umbringen mußte? Übrigens hat man ihm nicht sofort angemerkt, daß er ein so unerfreulicher Zeitgenosse war. Nach außen hin konnte er charmant sein. Das sind immer die Schlimmsten.«
»Aber er benutzte seinen Charme nicht, um begüterte Frauen mit schlichtem Gemüt auszunehmen«, stellte Laura fest.
»Woher wollen wir das wissen? Vielleicht haben wir seine Opfer nur noch nicht entdeckt. Dieser jungenhafte Charme war verdammt wirkungsvoll. Selbst Miss Mitchell hat ihn für einen netten Kerl gehalten, und sie läßt sich so leicht nicht täuschen.«
»Oh?« bemerkte Laura.
Er hob die Schultern. »Laura, wenn du eine Frau wärest …«
»Na vielen Dank! Was bin ich denn dann? Ein Androide?«
»Hör zu. Wenn du nicht meine Schwester, sondern eine andere Frau wärst, okay? Was würdest du über mich denken?«
»Unordentlich«, sagte sie prompt. »Jemand, der dringend die Hand einer Frau braucht, die ihn führt, ihm das Hemd bügelt, ihn daran erinnert, daß er sich die Haare schneiden lassen muß, und ihn davon abhält, mit seinen Pflanzen zu reden.«
»Eine solche Frau ist sie nicht, ich meine, sie bügelt keine Hemden.«
Laura ging zum Angriff über. »He, über wen sprechen wir eigentlich? Du hast dich doch nicht in die femme fatale verliebt, in die Leinwandgöttin, die alterslose Eve, oder doch?«
»Nein, und sei nicht gehässig. Eve Owens, das kann ich dir flüstern, ist eine bemerkenswert gut erhaltene Frau.«
»Und ich habe einen bemerkenswert gut erhaltenen georgianischen Spieltisch. Um Himmels willen, Alan! Wenn du weiterhin solche Bemerkungen von dir geben willst, solltest du doch besser mit Pflanzen reden. Hätte Eve Owens gehört, wie du sie beschreibst, würde sie dich verklagen – und ich würde sie vertreten!«
»Ich spreche über Meredith Mitchell«, gestand er.
»Wie sieht sie aus?« fragte die praktisch denkende Laura.
»Oh, ziemlich groß, bißchen über dreißig, schönes Haar, schöne Haut, intelligent. Sie ist im Konsulardienst.«
»Schade, daß du sie nicht zum Lunch mitbringen kannst«, sagte Laura mit aufrichtigem Bedauern. »Aber das geht nicht, nehme ich an, solange dieser Fall nicht abgeschlossen ist. Weil sie eine wichtige Zeugin ist. Sie hat die Leiche gefunden, nicht wahr? Beeinflussung und all das. Die Verteidigung würde sich darauf stürzen.«
»Ich bezweifle, daß sie sich überhaupt von mir einladen ließe. Sie sieht mich an, als sei ich mit einem Rucksack und Gebetsperlen in der Hand in ihrem Konsulat aufgetaucht und hätte behauptet, meinen Paß verloren zu haben. Manchmal macht es wirklich nicht viel Spaß, Inspektor zu sein. Man platzt ungebeten bei den Leuten herein, stellt alle möglichen dämlichen und sehr persönlichen Fragen, und die Leute nehmen es einem natürlich übel.« Er hielt einen Moment inne, dann sagte er: »Von Pflanzen oder Blumen versteht sie nichts.«
»Dafür kriegt sie einen Pluspunkt bei mir«, sagte Laura wohlwollend.
»Nein, du begreifst nicht«, erwiderte ihr Bruder ernst. »Sie versteht nichts davon, aber der Mörder von Philip Lorrimer, der schon.«
Meredith schloß den Wagen sorgfältig ab und sah nach, ob nicht etwas auf dem Rücksitz oder der Ablage lag, das auch nur das leiseste Interesse wecken konnte. Das hier war kein Platz, den sie sich freiwillig ausgesucht hätte, um ihren Wagen abzustellen, aber er lag ihrem Ziel am nächsten. Sie sah sich um. Eintönige Wohnblocks aus roten Ziegeln erstreckten sich zu beiden Seiten der Straße, viele der unteren Fensterreihen waren mit Brettern vernagelt. Auf den Mauern überall Graffiti, die meisten bedeutungslose Kritzeleien, einige beinahe künstlerisch. Sie schob die Schlüssel in die Manteltasche, in der sie schon ein paar Dinge untergebracht hatte, die sie sonst in einer Umhängetasche trug. Wenn man hier zu Fuß unterwegs war und eine Tasche bei sich hatte, die einem entrissen werden konnte, forderte man Schwierigkeiten geradezu heraus.
Der Wagen blickte ihr traurig
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