Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
und verlassen nach, als sie flott die Straße entlangschritt, vorbei an den Wohnungen und an einem Block mit Ladengeschäften – einem Waschsalon, einem schäbigen Zeitungskiosk mit einem Schaufenster, in dem unzählige handschriftliche Anzeigen hingen, und einem anscheinend leeren Gebäude, dessen Tür offenstand und vor dem eine Gruppe Jugendlicher herumlungerte. Sie spürte deutlich ihre abschätzenden, feindseligen Blicke, als sie vorbeiging.
Hinter der nächsten Ecke sah es geringfügig besser aus, hier standen vor dem Krieg gebaute Reihenhäuser mit Erkerfenstern, die die Luftangriffe überstanden hatten. Einige schienen noch von ihren Besitzern bewohnt zu sein, andere waren in einzelne Wohnungen unterteilt worden, eines beherbergte – ein fast überraschender Anblick – eine Arztpraxis. Eine gelbe Doppellinie, die absolutes Halteverbot anzeigte. Eine Seitenstraße, die sie überquerte. Noch ein Erkerfenster, diesmal mit dichten Spitzenvorhängen verhängt, aber mit einer Comic-Postkarte davor, die mit Klebeband an der Scheibe befestigt war. Der Text der Karte lautete: Wenn du Lust hast, zwinker mit den Augen. Unmöglich zu erraten, wer hinter den Spitzenvorhängen auf die so diskret aufgeforderten Kunden wartete. Besser als eine rote Laterne oder Mädchen im Fenster, die an ihren Strapsen zupfen, dachte Meredith amüsiert.
Vor einem der Häuser mit Erker blieb sie stehen. Einige Stufen führten zur Haustür, über eine zweite Treppe gelangte man zum Souterrain; aus einem Gitterfenster stiegen von dort Küchendünste auf, es roch nach Zwiebeln und nach Wasser, in dem Reis, Kartoffeln oder Pasta kochten. Meredith warf einen Blick auf die Hausnummer, stieg die Stufen zu der ziemlich ramponierten Haustür hinauf und drückte auf die Klingel unter dem Schild Frauenheim St. Agatha.
Bald darauf näherten sich Schritte, und vom Rasseln einer Kette begleitet wurde die Tür ein paar Zentimeter geöffnet. Ein Gesicht sah Meredith prüfend an.
»Ich möchte Sara Emerson sprechen«, sagte Meredith.
»Wie heißen Sie?« fragte die zu dem Gesicht gehörende Stimme argwöhnisch.
Meredith nannte ihren Namen und fügte hinzu: »Ich bin eine Verwandte.«
»Eine Sekunde«, sagte die Stimme. Die Tür wurde geschlossen, die Kette gelöst, dann die Tür wieder geöffnet – diesmal gerade weit genug, daß Meredith sich durchquetschen konnte.
Ein pummeliges Mädchen in T-Shirt und Jeans schloß die Tür und legte wieder die Kette vor. Meredith sah sich um. Der Flur war kahl, mit altem, brüchigem Linoleum auf dem Boden, die hellblauen Wände allerdings schienen, wenn auch nur laienhaft, vor kurzem frisch gestrichen worden zu sein. Irgendwo weinte ein Kind, und in Radio One war ein Discjockey gnadenlos fröhlich. Klappernde Schritte auf der Treppe kündeten die Ankunft einer zweiten jungen Frau an. Sie blieb, eine Zigarette in der Hand, auf halbem Weg stehen, erblickte Meredith, machte kehrt und lief davon; es war aber genug Zeit, daß Meredith ein schrecklich blau und schwarz verfärbtes Auge sehen konnte.
»Wir müssen kontrollieren«, sagte das rundliche Mädchen. »Man sieht gleich, wenn es jemand ist, der Zuflucht sucht. Sie machen nicht den Eindruck. Kommen Sie auch wirklich nicht von der Behörde oder vom Sozialamt?«
»Wirklich nicht. Fragen Sie doch Sara.«
»Keine Journalistin oder so?«
»Nein«, antwortete Meredith geduldig.
»Sie kommen her, um nachzuzählen, wie viele wir aufgenommen haben«, erklärte das pummelige Mädchen. »Die von der Behörde. Sie sagen dauernd, wir sollen die Anzahl beschränken. Wegen Feuergefahr und Gesundheit und so weiter. Aber wir können sie doch nicht wegschicken, oder? Und die vom Sozialamt kommen wegen der Kinder. Und dann die Ehemänner und Freunde, die versuchen, die Tür einzutreten, und die Presse, die dauernd auf neue Storys aus ist – manchmal reicht es einem wirklich.«
»Ich bin nichts von allem«, versicherte ihr Meredith.
»Zufälligerweise haben wir im Augenblick nicht viele hier.« Die Gedanken des Mädchens liefen allem Anschein nach auf Schienen, und nachdem sie einmal auf ein bestimmtes Gleis geraten waren, blieben sie da, bis sie einen bestimmten Punkt erreicht hatten.
»Sara?« fragte Meredith energisch.
»O ja, in der Krippe – den Flur entlang.«
Die Kinderkrippe war ein großer, sonniger Raum im hinteren Teil des Hauses. Er war spartanisch möbliert und mit der gleichen hellblauen Farbe gestrichen wie der Flur; um den Kamin herum sah man noch die Ränder. An
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