Mord ist auch eine Lösung
sich auf einen besonderen Aspekt in der Aussage ihrer Tochter gerichtet.
|267| »Monate? Cybil hat nur noch Monate zu leben?«
»Hast du das nicht gewusst?«
Honey schüttelte den Kopf. »Nein. Was hat sie denn?«
»Einen Hirntumor.«
»Die Ärmste.«
»Ja, wirklich. Weißt du eigentlich, dass sie ein ziemlich abenteuerliches Leben geführt hat? Oma hat mir davon erzählt. Sie war im Kalten Krieg als Geheimagentin unterwegs. Sie hat viel Zeit in Moskau und Berlin verbracht und spricht fließend Deutsch und Russisch. Wusstest du das?«
Honey verneinte. Es war sehr interessant, hatte aber mit ihrem Fall nichts zu tun.
Lindsey zählte dann noch andere Dinge auf, die Cybil gemacht hatte. »Oma vermutet, dass Cybil als Todesschützin ausgebildet worden ist. Außerdem kann sie segeln, ist im Alleinflug geflogen und hat Rennautos gefahren … Ich glaube, es gibt nichts, was diese Frau nicht getan hat. Da muss ihr ihre augenblickliche Lage ziemlich stinken. Ich bin mir sicher, mir würde sie stinken.«
Nein, leicht konnte das für Cybil nicht sein, überlegte Honey, war aber mit den Gedanken ganz woanders. Es ging einfach nicht, dass sie jetzt im St. Margaret’s Court hereinplatzte und anfing, Erkundigungen zu den Antiquitäten einzuziehen, die in einem der unbenutzten Keller gelagert hatten. Aber es konnte sie doch niemand daran hindern, Miss Camper-Young zu fragen, was die darüber wusste. Wenn Honey Glück hatte, hatten die Kameras ja in jener Nacht, als alles auf den LKW geladen wurde, in die richtige Richtung geschaut. Und es konnte sogar sein, dass sie ein Videobild der Person aufgenommen hatten, die die Hoffners k. o. geschlagen und gefesselt hatte, die ihnen eine einfache Fahrkarte nach Russland verpasst hatte.
|268| Kapitel 41
Also erst mal ins Lobelia Cottage, um Cybil zu fragen, ob sie sich die Videos der Überwachungskameras anschauen dürfte.
Das Häuschen schimmerte goldgelb wie eine riesige Bienenwabe. Die Sonne hatte sich herabgelassen, hinter goldumrandeten Wolken hervorzukommen, und die Frühlingsblumen tanzten in einer kleinen Brise.
Eine frühe Clematis, die an einem Spalierbogen rankte, winkte ihr ein zerbrechliches Willkommen zu.
Lobelia Cottage war wirklich so idyllisch, dass man sich vorstellen konnte, wie es auf einer großen Pralinenschachtel prangte. Das Haus war hübsch und so gut wie unberührt von der modernen Manie, überall doppelt verglaste Fensterscheiben einzubauen und irgendwo noch einen Wintergarten mit Plastikfensterrahmen anzukleben. Miss Camper-Young zog eindeutig einen älteren Stil und ein altmodischeres Verhalten vor.
Honey hob den gusseisernen Türklopfer an und ließ ihn kurz gegen das Holz hämmern. Sofort tauchten zur ihrer Rechten zwei platte Katzengesichter im Fenster auf. Gelbe Augen glühten und kleine Mäuler gingen auf und machten Laute, die sie nicht hörte. Sie fragte sich einen Moment, wo sich wohl die andere Katze herumtrieb. Vielleicht lauerte sie auf einem Kaminsims. Wie Aschenputtel war sie ja ein Eindringling im Haushalt der beiden persischen Schwestern.
Honey beugte sich herab, machte leise maunzende Geräusche und tippte mit den Fingernägeln an die Scheibe, ehe sie noch einmal den Türklopfer in Bewegung setzte. Während sie auf Antwort wartete, schaute sie über die Schulter zurück, |269| den gewundenen Pfad entlang und zum Hoteltor gegenüber. Ihr lief es kalt über den Rücken. Sie hatte keinerlei Zweifel, dass sie beobachtet wurde. Ihr kam der Gedanke, dass Cybil Camper-Young und der russische Hotelbesitzer gegenüber irgendwie Westernhelden ähnelten, die einander mit gezückten Pistolen zum Duell gegenüberstanden. Keiner ließ den anderen auch nur eine Sekunde aus den Augen. Sie spionierten einander aus, obwohl Gott allein wusste, was an Cybil so interessant sein sollte – oder so bedrohlich.
Ein Blauregen mit dunkelgrünen Knospen erregte am anderen Ende des Hauses Honeys Aufmerksamkeit, wo die Terrakottaziegel des Fußwegs um die Ecke und hinters Haus führten. Honey hatte schon genügend furchterregende Szenen in Fernsehkrimis und Horrorfilmen gesehen, um zu wissen, dass sie besser nicht diesen Pfad entlanggehen sollte. Aber es war doch helllichter Tag. Sie war im St. Margaret’s Valley, kaum fünf Kilometer von Bath entfernt. Die Wahrscheinlichkeit, hier auf einen irrwitzigen Axtmörder zu treffen, war praktisch gleich null. Also ging sie hinters Haus.
Der Pfad wurde schmaler und führte dann unter einem tunnelartigen Laubengang
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