Mord ist schlecht fürs Geschäft
durch den Türspalt geweht kam, erkannte Honey sofort: Chanel. Genau wie bei ihrer Mutter.
»Mrs. Patel? Ich arbeite mit der Polizei zusammen. Ihre Enkelin Zakia hat vorgeschlagen, dass ich mich mit Ihnen unterhalten sollte.«
»Kommt sie noch rechtzeitig zur Arbeit?«
»Ich wüsste nicht, warum nicht.«
»Oh, das ist gut.«
|272| Die dunklen Augen musterten Honey von Kopf bis Fuß und dann noch einmal von Fuß bis Kopf, ehe die Tür zuging, die Kette rasselte und die Tür wieder geöffnet wurde.
»Bitte treten Sie ein. Ich setze Wasser auf. Sie müssen die Unordnung entschuldigen. Ich arbeite an meiner Diplomarbeit für die Open University.«
»O wirklich. In welchem Fach?«
»Informatik, wenn ich auch nicht sicher bin, ob ich mir den richtigen Teilbereich ausgesucht habe. Mich interessiert es mehr, die Dinger auseinanderzunehmen, als die Mathematik und die Naturwissenschaft dahinter zu verstehen.«
Überrascht zog Honey eine Augenbraue hoch. »Sie meinen, Sie können tatsächlich einen Computer auseinandernehmen und wieder zusammensetzen?« Technik war nicht Honeys Stärke. Wer die Dinger verstand, war in ihren Augen ein Genie. Und ein Heiliger, wenn er sie auseinandernehmen konnte.
Mrs. Patel grinste. »O ja. Ich kann die auseinandernehmen. Das habe ich von meinem Enkel gelernt. Das Problem ist nur, dass keiner von uns beiden eine Ahnung hat, wie wir sie wieder zusammengebaut kriegen.«
Mrs. Patel trug ein Gewand aus großen Mengen tiefgrüner Seide mit einer goldenen Bordüre. Ihr graues Haar rahmte das Gesicht wie ein Heiligenschein ein. Sie war elegant und strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Nichts, überlegte Honey, hatte sich ihr je in den Weg stellen können, wenn sie etwas wirklich wollte.
»Kommen Sie mit. Wir machen es uns bequem.« Sie zog den rechten Fuß ein wenig nach, als sie Honey in den hinteren Teil der Wohnung führte, von dem aus man einen Blick auf den Fluss hatte. »Das ist meine ganz private kleine Wohnung, wo ich hingehe, wenn ich einmal Ruhe vor meiner Familie brauche«, erklärte sie. Ihre Augen leuchteten, als sie das sagte. Mit ausgestrecktem Arm deutete sie auf eine Reihe von Familienfotos, unter anderem eines von Zakia, die darauf einen Doktorhut und eine akademische Robe trug und ihr |273| Diplom in der Hand hielt. Stolz strahlte aus Mrs. Patels Augen.
Honey dachte, dass sie sich wohl nicht oft in diesem Raum aufhielt – zumindest nicht, wenn die Familie zu Hause war.
»Setzen Sie sich hin. Ich mache Tee.« Die Frau humpelte in die Küche nebenan. Man hörte im Wohnzimmer, wie der Wasserkocher angeschaltet und klirrend das Geschirr bereitgestellt wurde.
Die Leute zur Zeit von König Georg liebten Räume mit hohen Decken und großen Fenstern, die viel Licht hereinließen. Dieser Raum war keine Ausnahme. Ein Bugholz-Schaukelstuhl mit seidenbezogenen Kissen stand vor dem hohen Fenster. Hinter dem Garten war der Fluss.
»Da sitze ich und schaue mir die Welt hinter dem Haus an«, erklärte Mrs. Patel, als sie kurz ins Zimmer zurückkam. »Manchmal sehe ich mir auch die Welt vor dem Haus an. Ich habe an dem anderen Fenster noch einen Schaukelstuhl wie diesen stehen.«
»Sie haben ja wirklich eine sehr schöne Aussicht. Ich wette, Sie sehen alles, was hier vor sich geht.«
Mrs. Patel seufzte, ihre feinen Fältchen vertieften sich, schienen sich Schicht um Schicht übereinanderzuschieben. »Ich beobachte viel. Manchmal ist es sehr interessant. Manchmal nur ermüdend. Ich sitze viel hier, wissen Sie. Meine Hüfte tut weh. Die Schmerzen halten mich vom Lernen ab. Ich stehe auf der Warteliste für eine Operation. Ich warte noch bis zum Monatsende, und wenn ich dann keinen Termin habe, hat mein Sohn gesagt, dass er die OP für mich bezahlt. Ich kann das in Frankreich machen lassen, wenn es sein muss.« Während sie sprach, rieb sie sich die Hüfte.
»Ich hoffe, dass sich das schnell für Sie klärt«, antwortete Honey höflich. »Darf ich Ihnen mit dem Tee helfen?«
»Das ist sehr nett von Ihnen.«
Nun machte es sich Mrs. Patel bequem, während Honey den Tee zubereitete und das Tablett ins Wohnzimmer trug.
|274| Als sie zu dem Schaukelstuhl ging, schaute sie noch einmal aus dem Fenster. Man konnte zwischen den Bäumen auf die Brüstung am Ende des Hofes und auf den Fluss sehen.
»Ich wünschte, ich hätte so eine Aussicht.«
Mrs. Patel lächelte und nickte, während sie sich in ihrem Stuhl zurücklehnte, nachdem sie ihre Teetasse genommen hatte.
»Ich genieße sie
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