Mord ist schlecht fürs Geschäft
erleichtert auf. Ihr Selbstvertrauen kehrte zurück. »Was für Dinge?«
Ivor machte eine Pause, ehe er wieder in seinem walisischen Singsang loslegte. »Na ja, ich kann es natürlich nicht genau sagen, aber es hatte was mit der Familie zu tun.«
»Seiner Familie?«
»Ja.«
»Und er hat sich dort eine ganze Weile aufgehalten?«
»Drei Tage.«
»Drei Tage!«
Sie konnte sich der Überraschung nicht erwehren. Warum sollte jemand – selbst der leidenschaftlichste Tourist oder Familienhistoriker – drei Tage damit verbringen wollen, alte und sehr staubige Archive durchzusehen? Sicherlich hatte er auch nicht die ganze Zeit mit dem Pfarrer geredet? Vorsichtshalber fragte sie Ivor.
»Er hat den Pfarrer am ersten Tag besucht. Ich habe gesehen, wie sie sich unterhalten haben. Aber danach nicht mehr. Er ist einfach in die Kirche gegangen und zwischen den Grabsteinen herumspaziert und so. Hat seine Zeit gedauert. Ich habe gewartet, bis er wieder herauskam, und dann haben wir uns Sehenswürdigkeiten angeschaut. Nicht dass ihn das sonderlich interessiert hätte. Er war sehr still, als er zurückkam. Hat viel nachgedacht, wissen Sie. Es kann einen schon ganz schön zum Grübeln bringen, wenn man was über seine Vorfahren herausfindet.«
Nachdem sie sich bei Ivor für seine Hilfe bedankt hatte, |121| steckte sie ihr Mobiltelefon weg und machte sich auf den Heimweg. Also hatte Mary Janes Freund recht gehabt. Es war allerdings keine Rede davon gewesen, dass er tatsächlich in Charlborough Grange gewesen war und sich der Familie vorgestellt hatte. Laut Ivor hatte er sich nur in der Kirche und auf dem Friedhof aufgehalten. Konnte es wirklich drei Tage dauern, ein Kirchenbuch durchzusehen?
Das, entschied sie, war eine Frage, auf die sie noch eine Antwort finden musste.
Das Hotel lag in Dunkelheit da. Lautes Schnarchen ertönte vom Sofa, das unmittelbar hinter dem Empfangsbereich stand. Der Nachportier war – beinahe – im Dienst.
Sie zog ihre Schuhe aus.
»Versuch gar nicht erst, dich ins Haus zu schleichen, Mutter.«
Lindseys Kopf erschien hinter dem braunen Chesterfield-Sofa, auf dem sie ausgestreckt gelegen hatte.
Honey schrak zusammen. »Ich wünschte, du würdest endlich damit aufhören.«
»Dich zu erschrecken oder auf dich zu warten?«
»Beides.«
Honey ließ sich neben ihrer Tochter auf dem Sofa nieder. »Spionierst du mir nach?«
»Ja. Du bist so eine Unschuld vom Lande, was Männer betrifft.«
»Wie bitte?«
»Und komm mir jetzt bitte nicht damit, dass ich deine Tochter bin. Ich meine, du hast doch eine ganze Weile ziemlich enthaltsam gelebt. Deswegen muss ich jetzt ein bisschen auf dich aufpassen.«
»Lindsey. Ich bin nur etwas trinken gewesen.«
Lindsey beugte sich zu ihr hin und machte eine Handbewegung, als würde die Nase ihrer Mutter immer länger.
»Also gut, meine Nase wächst wie bei Pinocchio.«
Lindsey kuschelte sich an sie, und selbst im Halbdunkel konnte man sehen, wie ihr Gesicht vor Interesse leuchtete.
|122| »Also! Dann erzähl mir von ihm.«
»Von wem?«
»Von dem Polizisten. Und versuch nicht, so unschuldig zu tun. Oma hat im Speisezimmer abgestaubt und euer Gespräch mit angehört. Und sie hat zwei und zwei zusammengezählt.«
»Es ist überhaupt nichts dabei.«
Lindsey warf ihr einen Mich-kannst-du-nicht-reinlegen-Blick zu.
Honey neigte den Kopf zur Seite und schaute ihre Tochter an. »Du wirst also immer auf mich aufpassen?«
Lindsey nickte.
»Hab ich mir gedacht.«
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|123| Kapitel 15
Sie dachte nicht an Säcke. Sie dachte nicht einmal an Mord, als sie die Abkürzung zur Guildhall nahm. Zum ersten Mal, seit sie sich als Amateurdetektivin betätigte, waren ihre Schultern nicht verspannt. Sie ging ihre Aufgabe lockerer an. Ihre Gedanken waren für alle Möglichkeiten offen. Sie waren wie eines von diesen großen weißen Blättern Papier, auf denen man Probleme mit grünem Filzstift einzeln festhielt, ringsum von allen Einflussfaktoren umgeben.
Der Guildhall-Markt war ein phantastischer Ort, wo Stände mit Antiquitäten Seite an Seite mit denen zu finden waren, die eine große Auswahl von Käse, Knoblauchwurst und Trockenblumengestecken anboten. Sie schnupperte, genoss die Mischung der vielen verschiedenen Aromen, die ihr einen klaren Kopf bescherte. Und plötzlich war er da – der unverwechselbare Duft orientalischer Gewürze. Sie sah sich um, in der Hoffnung, die Quelle dieses Geruchs und vielleicht gleich einen Verdächtigen zu finden. Eigentlich blöd.
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