Mord ist schlecht fürs Geschäft
die sehr hoch aufgeschossene ältere Dame an ihren angestammten Tisch, wo sie gehorsam ihre langen Beine und ihren Oberkörper auf einem Stuhl unterbrachte.
»Ja, allen Ernstes. Er hatte drei Ehefrauen, müssen Sie wissen!«
Mary Jane kicherte, wie das alte Damen gern machen – wenn sie auch, das musste man schon zugeben, ansonsten nicht so recht in die Kategorie der netten alten Dame passen wollte.
Honey reichte ihr die Speisekarte. »Er hat sie aber nicht enthaupten lassen – wie Heinrich VIII., oder?«
»O nein«, kam die felsenfest überzeugte Antwort. Mary Jane schaute todernst drein. »Es war alles sehr schlüpfrig, und er hat mich schwören lassen, dass ich nichts verrate.«
»Dann will ich Sie nicht dazu überreden«, meinte Honey lächelnd.
»Aber eines muss ich Ihnen erzählen«, sagte Mary Jane, und ihre sehnigen Finger krallten sich in Honeys Arm. »Ich mache heute Abend einen dieser tollen Gespensterspaziergänge |192| mit. Der führt an ein paar Orte, von denen mir Sir Cedric berichtet hat. Möchten Sie mitkommen?«, fragte sie, und ihre jugendlichen grünen Augen strahlten aus dem faltigen Gesicht.
Honey schaute sich im Restaurant um, das sich zu füllen begann. »Ich weiß nicht, ob ich dazu Zeit habe.«
Mary Jane sah bitter enttäuscht aus. »Das verstehe ich doch, meine Liebe. Also, dann wollen wir mal sehen«, sagte sie und kramte in ihrer geräumigen Handtasche. »Ich habe hier irgendwo den Busfahrplan …«
Honey wollte nicht gemein sein. »Sie brauchen nicht mit dem Bus zu fahren. Auf den Spaziergang kann ich nicht mitkommen, aber ich kann sicher mal zehn Minuten hier weg und Sie hinbringen.«
»O gut.« Die geräumige Handtasche wurde wieder zugeknipst. »Das hat mir Ihre Mutter auch gesagt.«
Zähneknirschend lächelte Honey unbeirrt weiter. Es ärgerte sie, dass schon jemand ohne ihr Wissen ihre freiwilligen Dienste angeboten hatte.
Wahrscheinlich hätte ihre gereizte Stimmung angehalten, wenn ihre Augen nicht auf John Rees gefallen wären. Er trug ein cremefarbenes Leinenhemd von lässiger Eleganz. Es hatte Schulterklappen und gab ihm einen weichgespülten militärischen Anstrich.
»Wie geht’s?«, erkundigte er sich, während er aufstand und ihr die Hand schüttelte.
Eigentlich wollte sie antworten: »Viel besser, seit ich Sie hier entdeckt habe«, verkniff sich das aber gerade noch.
»Sehr gut, und Ihnen?«
Sie behielt ihr professionelles Lächeln bei. Vielleicht war er nur hier, um das Essen zu testen, und nicht, um sie wiederzusehen. Da erblickte sie seine Begleiterin.
Die Frau war schlank – hatte nicht nur einfach eine gute Figur, sondern war elegant, als sei sie einem Exemplar der
Vogue
entstiegen.
Sie nippte an einem Glas Wasser und hielt die Augen gesenkt. |193| Diese Augen waren perfekt geschminkt: feine dunkle Schatten an all den richtigen Stellen, Wimpern so dick wie pelzige Raupen.
»Miriam«, stellte er sie vor, »das ist Honey Driver, der dieses wundervolle Hotel gehört.«
Miriam nickte, murmelte »Guten Abend«, schaute aber nicht auf. Honey konnte es sich gerade noch verkneifen, mit den Zähnen zu knirschen. Was hatte es schon zu bedeuten, dass sie sich ihr Rendezvous im Buchladen in den schönsten Farben ausgemalt hatte? Die Dinge, mit denen er außer den Bildern und Büchern seine Wände schmücken wollte, waren bereits abgeholt worden. Okay, man brauchte zwar eine Einladung, aber trotzdem war es ja im Grunde eine öffentliche Veranstaltung. Jeder konnte hingehen und sich eine Karte kaufen. Im Hinterkopf hatte sie sich jedoch immer … na ja … man wird doch wohl noch träumen dürfen.
»Ich freue mich schon so auf den Abend in der Buchhandlung«, sprudelte es aus ihr hervor, während sie weiter den hübschen John anstrahlte. Großer Gott, sie benahm sich wie ein verliebter Teenager.
»Ich auch.«
Irgendetwas war an seinem Verhalten heute anders. Er lächelte, aber seine Züge blieben steif. Sie überlegte, dass er wohl recht angespannt war und dass Miriam, seine glamouröse, braungebrannte Begleiterin mit dem schwarzen Haar und den roten Lippen, der Grund dafür war.
Mehr als enttäuscht verabschiedete sich Honey. Während sie ihre Runde durchs Restaurant drehte, bot sie ein Bild bezaubernder Gastfreundlichkeit. In ihrem Kopf machte jedoch der ständig wiederkehrende Gedanke die Runde: Warum sind die besten Typen immer schon vergeben?
Lindsey war heute Chefin an der Bar. Wie immer schenkte sie rasch und professionell Getränke aus und
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