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Mord mit kleinen Fehlern

Titel: Mord mit kleinen Fehlern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Scott
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noch nicht. Sie war zittrig und nervös, drehte sich von einer Seite auf die andere und dachte an Matt. An seine Blumen auf ihrer Vordertreppe. An den Ton seiner Stimme. im Büro. Wie er ausgesehen hatte, so voller Trauer. Würde er zu ihrer Trauerfeier kommen? Anne wünschte, sie könnte ihm sagen, dass sie noch lebte, und sie wünschte, sie könnte ihn sehen. Sie verspürte das politisch unkorrekte Bedürfnis nach einer starken Schulter, an der sie sich ausweinen konnte, nach einem warmen Brustkasten, in den sie sich vergraben konnte. Anne liebte Männer, und vor Kevin hatte sie viele Verabredungen gehabt, hatte sich ein paarmal verliebt und wieder enthebt und war sehr glücklich gewesen. Gehörte sie nun zu Matt?
    Fünfzehn Minuten später war Anne angezogen, schloss Mel im Gästezimmer ein und packte ihre Handtasche, in der ihr Handy und der geborgte Revolver lagen. Es war fast zu einfach gewesen, in Bennies Schlafzimmer zu schleichen und die Waffe aus dem Nachttisch an sich zu nehmen. Das Schnarchen kam Gott sei Dank vom Hund.
    Anne lenkte den Mustang durch die Straßen von Philadelphia. Sie wusste, sie ging ein Risiko ein, indem sie sich zeigte, aber es war ein kalkuliertes Risiko. Sie war durchaus imstande, sich selbst zu schützen, und die Chance, auf Kevin zu treffen, ging gegen null. Er würde sich vor den Cops verstecken, sich bedeckt halten und hatte ja immer noch keinen Grund zu der Annahme, dass sie noch lebte. Es war fast zwei Uhr früh, aber auf den Gehwegen wimmelte es vor Menschen. Ganze Gruppen zogen von einem Club zum nächsten, lachend, redend, Händchen haltend. Menschen hielten braune Papiertüten in der Hand, in denen Flaschen steckten, oder schwangen Six-Packs, die von Plastikschlaufen zusammengehalten wurden.
    Anne blieb vor einer roten Ampel stehen, betrachtete die Partygänger auf der Straße. Kein Kevin. Die Nacht war schwül, eine gewisse Wildheit lag in der Luft. Alle benahmen sich daneben, besonders Anne. Sie fuhr, obwohl sie nicht fahren sollte, und das aus keinem logischen Grund. Doch jetzt waren die Würfel gefallen. Sie bog mit dem Mustang in den kolonialen Teil der Stadt und in Richtung von Matts Haus. Sie hatte die Adresse von der Telefonauskunft bekommen, hatte sich aber nicht verbinden lassen. Endlich 'Olde City', vorbei an der Independence Hall, in der die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben worden war. Hier würden sich jetzt die meisten Menschen aufhalten, da Philly die Geburtstagsparty des ganzen Landes feierte. Anne fuhr weiter auf die Innenstadt zu, und bald sausten die kolonialen Ziegelhäuser, von Efeu überwuchert, am Wagenfenster vorbei.
    Anne spürte, wie die Sommernacht ihre kurzen Haare zerzauste, und trat aufs Gas. Sie vergaß ihre Mutter und den Chipster-Fall, legte Meter um Meter zwischen sich und Kevin. Sie fühlte sich wie damals, als sie hergezogen war. Hoffnungsvoll. Aufgeregt. Ihr Puls beschleunigte sich. Sie suchte nach einem Parkplatz, aber vergeblich, und parkte schließlich im Parkverbot; selbst zu dieser nächtlichen Stunde feierte man überall weiter. Anne schaltete den Motor aus und wollte gerade aussteigen, als sie sich im Rückspiegel sah. Sie hatte den Lippenstift vergessen. Die Narbe mitten auf ihrer Oberlippe war zu sehen.
    Dann ist es eben so .
    Anne griff nach ihrer Handtasche, zog den Revolver heraus und steckte ihn in den Bund ihres Rocks, nur für den Fall. Sie setzte die Sonnenbrille auf und stieg mit der Zuversicht desjenigen aus dem Mustang, der eine Waffe bei sich trägt. Sie ging ein paar Häuserblocks weit, bis sie Matts Haus fand, ein Ziegelreihenhaus wie das ihre, nur mit älteren Ziegeln in einer ausgebleichten Melonenfarbe. Die Fensterläden und die Tür waren schwarz gestrichen, und im Erdgeschoss sah man Licht durch die Ritzen in den Jalousien, also arbeitete er noch, wie sie es bis vor kurzem getan hatte. Sie klopfte an die Haustür, und nach einer Minute ging das Außenlicht an, und die Tür wurde geöffnet.
    Anne schnappte nach Luft, als sie Matt sah. »Was ist passiert?«, fragte sie erstaunt.

16

     

    Matt   sah aus, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. Ein mehrere Zentimeter langer Riss zog sich über seine linke Wange, eine ausgefranste  Wunde, noch frisch und rot. Darunter erhob sich eine riesige Schwellung, die sein linkes Auge beinahe völlig schloss. Er trug immer noch sein  Oxfordhemd, aber es war mit winzigen Blutspritzern übersät. Sein gutes Auge weitete sich bei Annes Anblick.
         

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