Mord mit kleinen Fehlern
nicht ab, weil jemand sie erkennen könnte.«
Anne beugte sich über den Vordersitz. »Kevin hatte also keine Probleme, selbst am langen Wochenende ein Zimmer zu ergattern. Wegen des Unabhängigkeitstages arbeitet niemand, und sogar die Ehebrecher bleiben zu Hause.« Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es. »Und er wohnt hier ganz in der Nähe der PATCO-Expresslinie, die zwischen Philly und Jersey verkehrt. So kommt er in die Stadt und wieder zurück, da er wahrscheinlich kein Auto hat. «
»Seht mal!«, rief Mary und wies mit dem Finger auf eine Tür. Ein kleiner, älterer Mann in legerem Anzug verließ ein Zimmer im ersten Stock. Neben ihm tänzelte eine sehr viel jüngere Frau in roten Hotpants und dazu passenden Plateauschuhen. »Ist das eine ...«
»Prostituierte«, ergänzte Judy.
Anne war enttäuscht, dass es sich nicht um Kevin handelte. »Was machen wir jetzt? Wir müssen herausfinden, ob er sich hier eingetragen hat und ob er gerade auf seinem Zimmer ist.«
Mary beobachtete den Eingang. »Ich frage mich, ob ich Bennie oder die Cops anrufen soll. Sie sollten jetzt übernehmen.«
»Nein!«, riefen Anne und Judy wie aus einem Mund. Anne lehnte sich vor. »Mach dir keine Sorgen. Wir wissen doch noch gar nicht, ob er wirklich hier abgestiegen ist,
also sollten wir Bennie noch nicht anrufen. Und welche Polizei sollen wir denn verständigen? Die Polizei von Philly ist hier in Jersey nicht zuständig, wie Judy schon sagte, und bei der Polizei von Jersey kennen wir niemanden. Ich wüsste nicht einmal, wo anfangen.«
»Es ist eine FBI-Angelegenheit.« Mary biss sich auf den Daumennagel. »Da können wir anfangen.«
Judy sah zu ihr. »Mare, wie genau stellst du dir das vor? Wir rufen einfach an und sagen: »Hallo, FBI?«
»Ja, vermutlich«, erwiderte Mary, klang aber nicht sehr überzeugt.
»Ich glaube nicht, dass er gerade auf dem Zimmer ist«, sagte Anne und inspizierte mit den Augen das Motel. Bisher hatte noch keine Menschenseele den Vordereingang benutzt. Der Ort wirkte irgendwie verlassen. »Wir wissen, dass Kevin heute Mittag in Philly war, bei der Trauerfeier. Ich nehme an, er ist immer noch in der Stadt. Wahrscheinlich beobachtet er mein Haus oder die Kanzlei, oder er hängt in einer Schwulenbar herum, bis sich die Aufregung durch die Trauerfeier gelegt hat. Und er plant seinen nächsten Schritt. Ein Flüchtiger immer in Bewegung bleiben, damit er reagieren kann, wenn sich die Situation ändert. «
»Das klingt gefährlich.« Mary drehte sich um, und Anne sah die Angst in ihren braunen Augen.
»Wenn er nicht da drin ist, besteht keine Gefahr. Wir wollen ihn ja ohnehin nicht selbst festnehmen. Wir gehen hinein, sehen nach, ob er hier abgestiegen ist, und rufen die Polizei. Das ist der Plan. « Anne wirkte mit einem Mal entschlossen. »Das ist mein Plan. Du siehst mich hier vor deinen Augen planen.«
Judy grinste. »Ein Plan entsteht nicht erst vor Ort, Anne. Er muss im Voraus feststehen.«
Anne konnte es kaum noch erwarten, ins Motel zu kommen. »Also gut, wir müssen herausfinden, ob er hier abgestiegen ist. Sonst warten wir völlig grundlos.«
»Wie bewerkstelligen wir das?«, fragte Judy und drehte sich zu Anne. »Er wird sich ja nicht unter seinem richtigen Namen eingetragen haben.«
»Na, indem wir ihn am Empfang beschreiben, wie im Blumenladen. «
Judy schüttelte den Kopf, und ihr langer silberner Ohrring baumelte. »Am Empfang wird es dir niemand sagen und dich auch nicht ins Empfangsbuch schauen lassen. Das dürfen die gar nicht, und ich wette, in so einer Ehebrecherabsteige erst recht nicht. Ganz besonders nicht, wenn eine Frau um Auskunft bittet. Du könntest ja die Ehefrau von einem dieser Kerle sein.«
»Und wenn ich ihm Geld gebe? Ich könnte ihm einen Zwanziger zustecken, vielleicht sogar einen Fünfziger. «
»So was funktioniert nur im Film. Wir sind hier in New Jersey. «
Ein Lächeln zog sich plötzlich über Annes Gesicht. »Ich habe eine bessere Idee. «
»Hat das FBI damit zu tun?«, erkundigte sich Mary.
»Ganz im Gegenteil. Aber zuerst muss eine von uns zum Einkaufen. Mary, du wirst dafür auserkoren. Nimm den Wagen. Das Cherry-Hill-Einkaufszentrum liegt keine zehn Minuten von hier entfernt. Judy und ich bleiben hier, damit wir Kevin nicht verpassen, falls er zurückkommt. Wir verstecken uns in einem der Autos, falls eines offen ist.« Anne drehte sich, musterte die Umgebung. »Oder vielleicht auch an der Tankstelle. Und falls Kevin
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