Mord mit Schnucke: Heidekrimi (German Edition)
linker Hand die noch immer am Waldrand geparkten Autos der Jagdgesellschaft gesehen. Danach wurde ihr die Umgebung vollkommen fremd.
Hanna fuhr über eine lange, gewundene Auffahrt auf ein imposantes Herrenhaus zu. Es war drei Stockwerke hoch, aus hellem Naturstein erbaut und wies jene klaren, schnörkellosen Linien auf, die typisch für den klassizistischen Stil waren. Das breite Dach hatte über die Jahrhunderte grüne Patina angesetzt, die große Freitreppe wirkte auf Hanna eher abschreckend denn einladend.
Ein unangenehmes Gefühl der Beklemmung machte sich in ihrer Brust breit.
Erst jetzt, beim Anblick des prächtigen Familiensitzes, wurde ihr bewusst, welch mächtigen Feind sie sich geschaffen hatte.
Na und?, dachte sie und stieg aus. Ich habe einen Mord aufzuklären, und danach bin ich hier sowieso bald wieder weg.
Wirklich?
Hanna seufzte tief, unterdrückte alle Grübeleien und marschierte entschlossenen Schrittes die Treppe hinauf und auf den Eingang zu. In einer Hand hielt sie Luises Einkaufskorb. Möglicherweise würde sich Fallersleben nicht als vollendeter Gastgeber präsentieren.
9
Bevor sie den großen bronzenen Türklopfer betätigen konnte, kam Westermann herausgestürmt.
»Da sind Sie ja endlich!«
Beinahe hätte sie gegrinst. Westermann, der sie sehnsüchtig erwartete. Das war neu.
»Immer sachte mit den jungen Pferden«, erwiderte sie.
Der Polizeikommissar blickte aus seiner göttlichen Größe auf sie herab. »Chefin, wenn Sie jetzt schon den Lieblingsspruch des Grafen benutzen, muss ich mich um Ihre geistige Gesundheit sorgen. Und dann kommen wir aus diesem Schlamassel kaum lebend raus.«
Hanna hob kurz die Schultern, sie war mit ihren Gedanken plötzlich woanders.
»Sie glauben nicht, was ich vorhin auf der Weide von Bauer Löhme gesehen habe.«
»Lassen Sie mich raten, Chefin. Eine Kuh?«
»Nein. Ein Pferd!«
»Interessant. Haben Sie Fieber?«
Er streckte die Hand aus, um ihre Stirn zu fühlen, aber Hanna wich geschickt zurück.
Kein Hautkontakt! Nicht jetzt. Nicht mit ihm.
»Das Pferd ist sehr hässlich und sehr schmutzig«, erklärte sie geistesabwesend, während sie gleichzeitig überlegte, was an dem Tier für sie so wichtig war. »Es hat mich angestarrt und sich dann hingesetzt.«
»Chefin«, sagte Westermann, plötzlich ganz ruhig. »Mit Ihnen stimmt was nicht. Ich glaube, Sie stehen unter Schock.«
»Blödsinn.«
»So was kommt vor. War ja ’n büschen viel Aufregung für Sie heute.«
»Jetzt ist mal gut, Westermann. Ich habe keinen Schock. Das Pferd gibt es wirklich.«
»Wenn Sie das sagen …«
»Ich werde es Ihnen zeigen. Vielleicht morgen. Ich glaube … es hat etwas zu bedeuten.«
»Okay, Chefin.« Westermann wirkte zunehmend verwirrter. Er stand im Türrahmen und schien unschlüssig, ob er sie überhaupt reinlassen sollte.
»Schaffen Sie das da drinnen? Wie gesagt, die sind alle auf hundertachtzig, und eine Kommissarin, die ihnen sozusagen einen vom Pferd erzählt, könnte nicht so gut ankommen. Wissen Sie, so ein Schock kann echt fies sein. Hatte ich auch, als ich den armen Karl mausetot auf der Heide gefunden habe. Hab zwei Tage gebraucht, um wieder normal zu ticken.«
»Westermann!«
»Vielleicht sollte der Jo Sie erst mal untersuchen, bevor Sie sich der Meute stellen. Nur zur Sicherheit.«
»Nein, danke.«
Bloß nicht, fügte sie im Stillen hinzu. Auf keinen Fall wollte sie jetzt von Johannsen berührt werden. Nur eine einzige kleine Schwingung von ihm, und schon war er womöglich ihr Hauptverdächtiger.
Musste ja nicht gleich sein.
Ein Gedanke kam ihr, der ihre Mundwinkel zucken ließ: Wenn sie sowieso weder Westermann noch Johannsen anfassen wollte, dann bestand wenigstens keine akute Gefahr für ihren Seelenfrieden.
Westermann ließ nicht locker. »Wäre aber besser. Ich meine, da finden Sie rein zufällig eine Leiche. Das muss Ihnen doch zu schaffen machen.«
»Rein zufällig bin ich Kommissarin und keine Pilzsammlerin. Ich verkrafte das schon.«
»Wo wir gerade beim Zufall sind«, setzte Westermann an. »Ich glaube da nicht dran. Wie sind Sie denn wirklich in den Wald gekommen?«
Hanna musterte ihren Kollegen prüfend und lauschte auf ihre innere Stimme. Die schwieg aber gerade. War nach diesem langen Nachmittag wohl müde. Hanna auch.
»Das ist jetzt unwichtig.«
Westermann runzelte die Stirn. Noch immer blockierte er mit seiner Körpermasse den Eingang. »Kann es sein, dass Sie mir nicht vertrauen, Chefin?«
Sie schenkte sich
Weitere Kostenlose Bücher