Mord nach Drehbuch
antwortete Honey. »Haben Sie etwas von Perdita gehört?« Sie wusste, dass es Miss Cleveley beruhigen würde, wenn sie sich nach einem Familienmitglied erkundigte.
Miss Cleveley lächelte. »Ja, sie hat sich entschuldigt, dass sie nicht geschrieben hat. Das war sehr ungezogen von ihr.«
Honey fiel wieder ein, dass es in diesem Haus kein Telefon gab.
Doherty kam zur Sache. Er fragte Miss Cleveley, wo sie am Tag des Mordes gewesen war.
»Sind Sie jemals in Martyna Manderleys Wohnwagen gegangen?«
Miss Cleveleys Miene verfinsterte sich. Ihr Augenbrauen zogen sich über der Nase zu einem V zusammen. »Nein«, sagte sie kategorisch. »Nein, da war ich nie.« Sie wandte sich an Honey. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass man mich aus der Gegenwart dieser Dame und dann vom Film verbannt hatte. Ich war zutiefst beschämt. Das teile ich Ihnen nur zu gern mit. Aber ich bin nicht zurückgekehrt, um diese üble Tat zu vollbringen. Ganz gewiss nicht!«
Doherty nickte weise, als hätte er viel mehr als nur seine Jahre auf dem Buckel.
»Können Sie mir sagen, wo Sie an jenem Morgen waren?«
Miss Cleveleys strahlend blaue Augen zwinkerten einige Male. Ihr Kiefer bewegte sich, während sie gründlich über die Frage nachdachte. Irgendwie vermittelte diese Bewegung Honey das Gefühl, dass die alte Dame etwas zu verbergen hatte. Etwas, das sie kompromittiert hätte?
»Ich war im Kosmetiksalon.«
Wie zur Erklärung berührte sie zart ihr Kinn. Honey begriff sofort. Miss Cleveley, Perditas Tante, war zu einer kleinen Elektro-Epilation im Salon gewesen.
Doherty dagegen kapierte rein gar nichts. »Das lassen wir überprüfen.«
Weiter gab es nichts zu sagen.
»Ich dachte, sie lebt in der Vergangenheit und gönnt sich keinen modernen Luxus. Und ein Kosmetiksalon ist nun wirklich moderner Luxus«, meinte Doherty, während sie über das Kopfsteinpflaster zur Hauptstraße gingen.
»Sie hat sich Gesichtshaar entfernen lassen. Dann spart man sich das Rasieren.«
Doherty murmelte. »Ah, ich verstehe.« Offensichtlich kapierte er es nicht gleich. Dann sagte er noch einmal »Ah«, diesmal allerdings etwas lauter. »Dieses kleine Detail hatte ich vergessen.«
»Ich werde das überprüfen. Keine Kosmetikerin vergisst ein Kinn, das so stachelig ist wie ihres. Dann bleibt nur die eine Frage: Wenn sie es nicht war, die Gestalt mit dem Häubchen und dem Schultertuch, wer war es dann?«
Kapitel 35
Ein schlichtes schwarzes Kleid und eine farblich passende dreiviertellange Jacke mit beigefarbenen Paspeln war genau das Richtige für eine Abendveranstaltung. Die Jacke hatte einen schicken Schwung. Honey betrachtete sich im Spiegel und fand sich perfekt gekleidet für die Lesung.
Sie hätte ja viel lieber nach einem guten Abendessen und einem guten Glas Shiraz ein paar Schreibarbeiten erledigt, aber um die Veranstaltung heute Abend kam sie nun einmal nicht herum. Verflixt, dass Casper ausgerechnet diese Eintrittskarten übrig gehabt hatte!
»Sie sehen sehr schick aus«, meinte Alex, der Barmann, während er ihr einen Wodka mit Tonic Light einschenkte.
»Mach einen Doppelten draus.«
Weil er ein guter Barmann war und noch dazu halb so alt wie sie, gehorchte er umgehend. Alex war ein junger Mann, dem man noch Respekt für die ältere Generation – und für Vorgesetzte – beigebracht hatte.
Lindsey ließ sich viel Zeit.
Honey rief sie auf dem Handy an, während Alex ihr noch einen Wodka einschenkte.
»Bist du immer noch nicht fertig?«
»Mutter, wir haben noch jede Menge Zeit!«
Honey schaute auf ihre Armbanduhr. »Ich möchte nicht gern zu spät kommen.«
»Mama, du machst dir keine Sorgen, dass du zu spät kommst. Du willst nur alles so schnell wie möglich hinter dich bringen.«
Als Honey ihren zweiten Wodka getrunken hatte, tauchte ihre Tochter in Jeans und einer dicken, wattierten Jacke auf.
Wahrscheinlich konnte sie es Honey an der Nasenspitze ablesen, was die von diesem Aufzug hielt.
»Ich habe ein wirklich schickes Oberteil drunter. Aber ich muss dich warnen, in dem alten Kasten, wo die Lesung stattfindet, ist seit Winston Churchills Kindertagen nicht sonderlich viel verändert worden.«
»Okay! Wie wäre es mit einem Drink, ehe wir losziehen?«
Alex stand bereit.
Lindsey würgte das im Keim ab. »Zwei reichen.«
»Aber drei wären besser«, protestierte Honey.
»Nein!« Lindsey schüttelte den Kopf und glich dabei so sehr einer gestrengen Schulrektorin, dass Honey sich höchstens wie vierzehn fühlte. »Oma wird
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