Mord nach Drehbuch
ehrlich gesagt, sie konnte es ihnen nicht einmal verübeln.
Einen Augenblick lang lag sie schlapp auf dem Rücken, hatte einen Fuß auf ein angewinkeltes Knie gestützt und starrte zur Decke. Erst einmal musste sie wieder zu Puste kommen. Mein Gott, überlegte sie, man stelle sich vor, diese Tortur jeden Tag fünf Stunden lang! Filmstars taten das ja wohl – zumindest stand das immer in den einschlägigen Klatschblättern. Wie zum Teufel fanden die noch Zeit für irgendwas anderes?
Ihr Telefon spielte fröhlich die Melodie »Ding, dong, die Hex ist tot« – eines ihrer Lieblingsstücke aus dem
Zauberer von Oz
. Das Handy lag neben ihr auf dem Fußboden.
»Hi«, sagte sie.
»Hi.«
Es war Steve. Sie schaute zur Decke.
Ein Schmetterling mit hellbraun getupften Flügeln flatterte durchs Zimmer, zum Fenster und auf die trügerische Wintersonne zu.
»Tut mir leid, dass ich es gestern nicht geschafft habe, bei dir vorbeizuschauen. Ich versuch’s heute noch einmal.«
»Da habe vielleicht ich was zu tun.«
»Echt?«
Er wirkte keineswegs so verstört, wie sie es erhofft hätte.
»Würde dir das was ausmachen?«
»Ich wäre enttäuscht. Aber ich weiß ja, dass du eine viel beschäftigte Dame bist. Wenn ich es nicht schaffe, kannst du dann wenigstens an mich denken, ehe du einschläfst?«
»Im Bett?«
»Warum nicht? Träum ein bisschen. Obwohl mir eine wilde Phantasie noch lieber wäre. Und vergiss nicht, dir Parfüm hinter die Ohren zu tupfen.«
Das war ja mal ein Vorschlag, wenn man bedachte, was für Phantasien sie in puncto Steve schon gehabt hatte.
»Ich werde mir alle Mühe geben. Soll ich es bei höchstromantischen belassen oder mich auch auf erotisches Terrain begeben?«
»Lass dich inspirieren und mach dir warme Gedanken.«
Der Schmetterling flatterte immer noch herum, als sie schon längst aufgelegt hatte. Die von den Heizkörpern aufsteigende Wärme hatte ihn genarrt und glauben lassen, es sei Mai und nicht Februar. Der Ärmste. Gerade ausgeschlüpft, und schon würde er erfrieren.
Sie hob den Arm und winkte ihm zu. »He, Kleiner. Da willst du wirklich nicht raus. Glaub mir.«
Natürlich hörte der Schmetterling nicht auf sie.
Sie ließ den Arm wieder sinken. Gestern war es kalt gewesen. Jeder, der halbwegs bei klarem Verstand war, wäre zu Hause geblieben und hätte sich vor den warmen Kamin gekuschelt.
Sobald ihre Muskeln nicht mehr protestierten, rollte sie sich auf den Bauch und stemmte sich dann auf die Knie. Nach der Gymnastik sollte man alles langsam angehen – es hatte irgendwas mit dem Blut zu tun, das sich in den Arterien sammelte.
Sie dachte immer noch über Blut nach, als sie unter die Dusche ging. Nicht über ihr eigenes Blut, sondern über das auf dem Drehbuch. Es schauderte sie bei dem Gedanken, und ihr wurde erst wieder warm, als sie angezogen und wieder präsentabel war.
Während sie in ihrem begehbaren Kleiderschrank herumwühlte, dachte sie an das viktorianische Korsett, das sich ihre Mutter ausgeliehen hatte. Es war wunderschön und sehr zart. Sie hatte es gar nicht gern hergegeben. Ein, zwei Tage wollte sie noch warten. Dann würde sie ihre Mutter daran erinnern, es zurückzubringen. Zumindest hatte es einen Auftritt gehabt. Die meisten Stücke in Honeys Sammlung wurden in einer alten Seekiste in Honeys Kleiderschrank aufbewahrt, und darin würde auch das Korsett wieder verschwinden. Nachdem es seine Wirkung auf den Kerl gehabt hatte, auf den ihre Mutter ein Auge geworfen hatte.
Honey dachte nach. Vielleicht war es mit dem blutbefleckten Drehbuch ähnlich gewesen? Hätte das auch jemand zurückbekommen sollen? Hatte es vielleicht einen Streit über die Größe einer Rolle oder über die Textmenge gegeben? Sie hatte sich sagen lassen, dass große Stars manchmal ziemlich dramatische Auftritte hinlegten, wenn es um Drehbücher ging. Wenn sie ausreichend berühmt waren, konnten sie meist ihren Kopf durchsetzen. Hatte Martyna Manderley einen Drehbuchautoren so getriezt, dass er ausgerastet war? War der Mörder wütend geworden, hatte mit der Hutnadel nach ihr gestochen, dann versucht, das Blut aufzuwischen, und war in Panik geraten, weil er nun zu spät zur Besprechung kommen würde? Vielleicht war er aus dem Wohnwagen fortgerannt, immer noch mit dem Drehbuch in der Hand, und hatte es im Besprechungsraum auf einen Stuhl gelegt – genau auf den Stuhl, auf den sie sich setzen wollte? Oder war der Mörder viel kaltblütiger gewesen? Hatte er überlegt, dass sie, Honey, eine
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