Mord nach Drehbuch
prächtige Verdächtige abgeben würde? Diesen Gedankengang unterbrach Honey abrupt. Wieso glaubte sie eigentlich, der Mord wäre von einem Mann begangen worden? Heutzutage arbeiteten viele Frauen im Filmgeschäft und brachten es sehr weit. Da musste es doch Rivalitäten geben. Blut auf dem Teppich – ja, sogar Blut auf dem Drehbuch.
Doherty rief noch einmal an und schlug vor, sich zum Mittagessen in einem kleinen Café namens Blanc et Noir zu treffen. Sie hörte die Enttäuschung in seiner Stimme, als sie ihm sagte, dass sie schon eine andere Verabredung hatte.
»Mit wem?«
»Das geht dich kaum was an.«
Ursprünglich hatte sie ihm nicht sagen wollen, dass sie ein Treffen mit Richard Richards ausgemacht hatte. Aber ein bisschen Eifersucht konnte ja nicht schaden. Ihr schlechtes Gewissen plagte sie.
»Richard Richards möchte, dass ich mich mit ihm auf einen Kaffee treffe. Er ist beleidigt, weil du ihn nicht gleich befragt hast. Er hält sich für ziemlich wichtig.«
»Wenn er mit dir reden möchte, dann geht das in Ordnung. Ich komme später und lasse mir von dir erzählen, was er zu berichten hatte.«
»Sehr wohl, mein Gebieter, aber …«
Doherty legte auf, ehe sie ihren Satz beenden konnte.
Das Café, in dem sie sich mit Richard Richards verabredet hatte, war eines ihrer Lieblingslokale. Atmosphäre und Essen waren genau richtig, und es lag an einem kopfsteingepflasterten Innenhof nicht weit von der Bath Abbey entfernt. Im Sommer konnte man sehr angenehm draußen an einem der grünen Metalltische mit den karierten Decken sitzen. Doch jetzt, im Februar, musste man sehen, dass man vor zwölf Uhr ins Café kam, wenn man ein warmes Plätzchen ergattern wollte.
Fröhlich knipsende Touristen hatten die Bürgersteige mit Beschlag belegt und zwangen Honey, auf die Straße auszuweichen. Sie dankte ihrem Schicksal, dass im Augenblick wenigstens die Büroangestellten und Verkäufer noch nicht in die Mittagspause strömten. Da war ein Sitzplatz im Café noch im Bereich des Möglichen.
Honey marschierte flott weiter, umrundete ein japanisches Paar mit einer topaktuellen Videokamera, eine Gruppe von Amerikanern mit genauen Listen aller Dinge, die man machen und ansehen musste, und einige Deutsche, die überraschend leger daherkamen.
Der Fall schien ziemlich klar zu liegen. Das Verhältnis zwischen Martyna Manderley und dem Produktionsteam war alles andere als harmonisch gewesen.
Plötzlich wurden Honeys Grübeleien über den Mord jäh unterbrochen, weil ihr jemand ein Klemmbrett vor die Nase hielt. Eine zierliche, von Kopf bis Fuß in lavendelblauen Musselin gehüllte Dame sprach sie an: »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich an diesem kühlen, aber doch sonnigen Vormittag Ihre Gedankengänge störe. Ich möchte Ihnen eine Petition unterbreiten, mit der ich den Abbruch aller Dreharbeitenfür dramatische Werke mit historischen Themen anregen möchte, die hier in unserer schönen Stadt Bath angesiedelt sind. Insbesondere bezieht sich mein Protest auf Dramen, die vorgeben, auf Jane Austens Werken und ihrem Leben zu beruhen. Diejenigen unter uns, die von einer großen Zuneigung, nein, von einer großen Liebe zu Jane Austen und ihren Romanen erfüllt sind, wollen entschlossen gegen diese Machwerke einschreiten und alle, die diese Meinung nicht teilen, nachdrücklich darauf hinweisen, dass unsere Stadt keineswegs Disneyland ist!«
Honey nahm verdutzt die Sprache der alten Dame zur Kenntnis. War sie aus einem Museum entkommen?
Nein, es konnte nur eine Möglichkeit geben. Die Frau war ein Bücherwurm und las vor allem nur eine einzige Autorin.
»Ah! Ich nehme an, Sie haben sehr viel von Jane Austen gelesen?«
»Gewiss, meine Liebe. Aus Jane Austens Feder stammen die großartigsten romantischen Erzählungen, die je geschrieben wurden. Niemand hat diese Autorin je an Einsicht und an Gefühl übertroffen. Wahrhaftig, niemand hat es ihr in diesem Genre an Meisterschaft auch nur gleichgetan.«
Was die Anspielung auf Disneyland betraf, so konnte sich Honey gerade noch die Bemerkung verkneifen, ihr sei nicht bekannt, dass auch Goofy und Donald Duck in Bath wohnten.
Stattdessen fragte sie: »Es missfällt Ihnen, dass Filme über Jane Austen gedreht werden?«
»Ja, insbesondere missfällt mir die Jane Austen.«
Sie betonte das Wort »insbesondere« und dehnte es wie ein Stück straffe Gummischnur bis zum Anschlag.
Honey versuchte es mit der Antwort, die ihr auf der Zunge lag: »Sie ist aber tot, das wissen Sie
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