Mord Nach Maß
sechzig, in rustikaler, fast schäbiger Kleidung, mit grauem, dünner werdendem Haar und einem kurzen Bürstenschnurrbart. Er entschuldigte sich, dass seine Frau nicht hatte mitkommen können, sie sei leidend. Dann setzte er sich hin und schwatzte mit uns. Nichts, was er sagte, war irgendwie bemerkenswert oder interessant, aber er hatte den Dreh heraus, wie man sein Gegenüber dazu brachte, sich zu entspannen. Ohne direkt Fragen zu stellen, berührte er oberflächlich eine Reihe von Themen und hatte sich bald ein Bild darüber gemacht, wo unsere wirklichen Interessen lagen.
Mit mir unterhielt er sich über Rennen, mit Ellie über das Gärtnern und zählte auf, welche Dinge hier besonders gut gediehen. Ein- oder zweimal war er auch in den Staaten gewesen. Er fand bald heraus, dass Ellie, auch wenn sie nicht viel von Rennveranstaltungen hielt, doch selbst gern ritt, und erklärte ihr, welchen besonderen Pfad sie zu Pferde einschlagen müsse, damit sie durch die Wälder ein Stück freies Hochmoorgelände erreichte, wo sie einen anständigen Galopp hinlegen könne. Dann kamen wir auf unser Haus und die Sagen um Gipsy’s Acre zu sprechen.
»Aha, der örtliche Name ist Ihnen schon zu Ohren gekommen«, sagte er. »Und mit ihm wahrscheinlich dieser ganze Aberglaube, nehme ich an.«
»Zigeunersprüche noch und noch«, lächelte ich. »Und zwar meistens von der alten Mrs Lee.«
»Ach, du lieber Himmel«, seufzte Phillpot, »die arme alte Esther. Ist sie Ihnen auf die Nerven gefallen?«
»Es stimmt wohl nicht mehr alles bei ihr, wie?«, erkundigte ich mich.
»Sie stellt sich schlimmer, als sie ist; ich fühle mich ein bisschen für sie verantwortlich und habe ihr auch zu dieser Kate verholfen. Nicht dass sie mir Dank dafür gewusst hätte. Trotzdem, irgendwie mag ich das alte Schlachtross, obwohl sie einem schon auf die Nerven gehen kann.«
»Mit ihrer Wahrsagerei?«
»Nein, das nicht gerade. Warum, hat sie Ihnen wahrgesagt?«
»Ich weiß nicht, ob man es so nennen kann«, meinte Ellie. »Es war mehr eine Warnung. Wir sollten hier wegbleiben.«
»Seltsam.« Major Phillpots buschige Augenbrauen hoben sich. »Wenn es um die Zukunft ihrer Kunden geht, redet sie sonst immer mit Engelszungen. Von einem stattlichen Unbekannten, von Hochzeitskutschen, sechs Kindern und unverhofftem Reichtum. ›Sie werden zu Geld kommen, schöne Dame…‹« Überraschend gekonnt imitierte er den weinerlichen Zigeunersingsang. »Ja, in meiner Jugendzeit war hier oben ein Zigeunerlager«, fuhr er fort. »Irgendwie hab ich mich mit ihnen angefreundet, obwohl sie ja allesamt diebische Elstern waren. Aber sie haben mich immer fasziniert. Solange man nicht davon ausgeht, dass die Gesetze auch für sie gelten, kann man ganz gut mit ihnen auskommen. Wie viele Blechnäpfe voll Zigeunergulasch hab ich als Schuljunge nicht gegessen! Unsere Familie fühlte sich Mrs Lee immer ein bisschen verpflichtet, sie hat meinem Bruder einmal das Leben gerettet. Hat ihn aus dem Teich gefischt, als er beim Schlittschuhlaufen durchs Eis brach.«
»Wahrscheinlich ist sie wirklich ganz harmlos«, räumte Ellie ein. »Es war sehr dumm von mir, dass ich mich so erschrecken ließ.«
»Erschreckt hat sie Sie?« Wieder hob sich die Braue. »So weit ist sie gegangen, tatsächlich?«
»Mich wundert’s nicht«, warf ich ein. »Sie hat uns eher gedroht als gewarnt.«
»Gedroht!« Er schien es kaum glauben zu können.
»Na ja, für mich hat es sich jedenfalls wie eine Drohung angehört. Und dann, an unserem ersten Abend hier, hat sich noch etwas ereignet.«
Ich erzählte ihm von dem Stein, der durchs Fenster geworfen worden war.
»Ja, ich fürchte, die Jugend ist heutzutage ziemlich verwahrlost«, klagte er. »Obwohl es hier mit den Gammlern nicht ganz so schlimm ist wie in manchen anderen Gegenden. Trotzdem kommt so was gelegentlich vor, so leid es mir tut.« Er sah Ellie an. »Sehr bedauerlich, dass Sie so erschreckt wurden, ausgerechnet an Ihrem ersten Abend im neuen Heim.«
»Ach, nun bin ich ja darüber hinweg«, sagte Ellie. »Es war nur… es war nur nicht das einzige Mal. Nicht lange danach passierte noch so etwas.«
Ich erzählte ihm auch das. Wir waren eines Morgens hinunter gekommen und hatten einen toten Vogel gefunden, durchbohrt von einem Messer, das einen Zettel mit der unorthographischen Warnung hielt: »Raus mit euch, wenn euch euer Leben lieb ist.«
Darüber schien sich Phillpot wirklich zu erbosen. »Das hätten Sie aber der Polizei melden
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