Mord Nach Maß
gewesen.
Vier Tage nach meiner Ankunft erreichten mich Nachrichten aus Kingston Bishop.
Mrs Lees Leiche war unten im alten Steinbruch auf der anderen Seite des Berges gefunden worden. Sie war schon seit Tagen tot gewesen. Bereits früher hatten sich dort Unglücksfälle ereignet, es war davon gesprochen worden, dass der Steinbruch eingezäunt werden müsste – aber geschehen war nichts. Das offizielle Verdikt lautete auf Tod durch Unfall, und an den Landrat erging eine weitere Empfehlung, den Steilhang zu sichern. In Mrs Lees Kate wurden unter den Dielenbrettern dreihundert Pfund gefunden, in Einpfundnoten.
In einer Nachschrift hatte Major Phillpot hinzugefügt: »Noch eine schlechte Nachricht: Gestern stürzte Claudia Hardcastle bei der Jagd vom Pferd und war sofort tot.« Claudia – tot? Unglaublich! Das versetzte mir einen heftigen Schock. Jetzt waren innerhalb von vierzehn Tagen zwei Menschen bei einem Reitunfall ums Leben gekommen. Wer konnte das noch auf einen Zufall zurückführen?
Ich will mich nicht weiter über meinen Besuch in New York auslassen. Ich war ein Fremdkörper in einer mir fremden Umwelt. Ständig glaubte ich mich bei allem, was ich sagte oder tat, höllisch in Acht nehmen zu müssen. Die Ellie, die ich kannte, die mir allein gehört hatte, war nirgends zu spüren, nur das amerikanische Girl, die Haupterbin eines Riesenvermögens, Mittelpunkt eines großen Freundes-, Bekannten- und Verwandtenklüngels, letzter Abkömmling einer alten Familie, die seit fünf Generationen im Lande lebte. Das alles deprimierte mich so, dass mir der Gedanke kam, wo wohl mich der Tod ereilen würde. Auf Gipsy’s Acre? Vielleicht. Dann würde meine Mutter mich zu Grabe tragen – wenn sie noch lebte. Aber dass meine Mutter starb, konnte ich mir nicht vorstellen. Ja, bestimmt würde sie für ein ordentliches Begräbnis sorgen. Ob sie dann immer noch so ein strenges Gesicht machte? Aber ich wollte lieber an etwas anderes denken, nicht an meine Mutter. Es verlangte mich weder danach, sie zu sehen noch von ihr zu hören.
Das stimmte allerdings nicht ganz. In unserer Beziehung hatte nie zur Debatte gestanden, ob ich sie sehen wollte. Immer war es so, dass sie mich sah, beobachtete, durchschaute, mit einer Besorgnis, die ich fast körperlich auf mich übergreifen spürte.
Wie lange hielt ich mich in den Staaten auf? Ich weiß es nicht mehr. Es schien mir, als wäre ich schon eine Ewigkeit über dieses dünne Eis gegangen, beobachtet von Leuten mit falschem Lächeln und feindseligen Augen. Tagtäglich sagte ich mir: Ich muss es durchstehen. Ich muss es durchstehen, und dann… Mit diesem »und dann…« tröstete ich mich jeden Tag mehrmals. »Und dann…«, das sagte ich mir genauso wie damals »Ich will…«
Jedermann gab sich die größte Mühe, nett zu mir zu sein, denn ich war ja reich. Ellies Testament hatte mich zu einem unwahrscheinlich reichen Mann gemacht. Es kam mir alles ganz seltsam vor. In meinem Namen wurden Investitionen vorgenommen, die ich nicht verstand, ich besaß Anteile, Aktien, Obligationen – und ich hatte keine blasse Ahnung, was mit all dem zu geschehen hatte.
Am Tag vor meiner Rückkehr nach England hatte ich ein langes Gespräch mit Lippincott. Ich informierte ihn, dass ich daran dachte, Stanford Lloyd von der Aufgabe meiner Finanzverwaltung zu entbinden.
»So?« Die grauen Augenbrauen schossen in die Höhe. Sein Pokergesicht und die schlauen Augen musterten mich, und ich fragte mich, was dieses »So« nun wirklich bedeutete.
»Halten Sie das für richtig?«, erkundigte ich mich nervös.
»Sie haben vermutlich Ihre Gründe dafür?«
»Nein, jedenfalls keine stichhaltigen. Nur so ein Gefühl. Ich darf doch offen mit Ihnen sein?«
»Das Gespräch hat natürlich vertraulichen Charakter.«
»Also gut«, sagte ich. »Ich habe einfach das Gefühl, er ist ein Gauner.«
»Ah.« Lippincott sah interessiert drein. »Ja, ich möchte fast sagen, dass Ihr Instinkt Sie da möglicherweise nicht betrogen hat.«
Da wusste ich, dass ich recht gehabt hatte. Stanford Lloyd hatte mit Ellies Obligationen, mit ihren Investitionen und dem ganzen restlichen Kram sein krummes Spiel getrieben. Ich unterschrieb eine Vollmacht und reichte sie Andrew Lippincott.
»Sind Sie gewillt, dies anzunehmen?«, fragte ich.
»Soweit es um finanzielle Dinge geht, können Sie mir volles Vertrauen schenken. In dieser Beziehung werde ich mein Bestes für Sie tun, und Sie werden keinen Anlass haben, sich über meine
Weitere Kostenlose Bücher