Mord ohne Leiche
abzuwehren. »Amy«, sagte ich, »ich bin’s. Soriano
ist weg.«
Nach ein paar Sekunden öffnete sie die
Augen und sah mich unter den herunterhängenden Strähnen ihrer
Artischockenfrisur an. »Weg?«
»Ja. Er kann Ihnen nichts tun.«
Sie löste die Arme von den Knien und
rappelte sich mühsam auf.
»Und Marc?«
»Er ist — « Ich zögerte. »Wir müssen
Hilfe holen.«
»Marc hat Trace umgebracht. Er hat sie umgebracht !«
»Denken Sie jetzt nicht daran.«
»Deswegen hat er mich zu Ihnen
geschickt. Er wollte gestehen, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich. Es ist alles über ihm
zusammengebrochen.« Ich ging zu dem Sessel, in dem meine Tasche lag, wühlte
darin, bis ich mein Schweizermesser fand, und steckte es in die Jackentasche.
Dann half ich ihr auf die Füße und drehte sie dabei so, daß sie seine Leiche
nicht sah. »Gehen wir.«
Sie sah auf meine Hand, entdeckte die
Waffe und schauderte.
»Es ist okay. Er ist unbewaffnet. Ich
sorge für unseren Schutz.«
Sie nickte langsam. Ich legte ihr den
Arm um die Schultern und führte sie zur Tür. In der anderen Hand hatte ich den .32er.
Als wir zum Tor kamen, spähte ich
hindurch. Der Jaguar stand immer noch da. Eine Minute lang verharrte ich und
sah die Straße hinauf und hinunter. Ich überlegte, welchen Weg wir einschlagen
sollten. In der Häuserreihe, die sich in Richtung Bahnbrücke zog, war kein
Licht zu sehen. Aber die Lichter, die ich vorher schon durch die Bäume hinter
dem Wendekreis gesehen hatte, waren noch an. Ich führte Amy durch das Tor, und
wir gingen los. Wir hielten uns in der Mitte der Straße, so daß uns niemand vom
Gebüsch her überfallen konnte.
Mondlicht fiel auf den abgefahrenen
Straßenbelag und das Gelände des Salzbergwerks. Wieder erinnerte das Bild mich
an eine Eisfläche im Ödland. Die Luft war eisig, und ein scharfer Wind
peitschte die Zweige der Bäume. Gelegentlich begleitete Knacken und Knistern
aus dem Unterholz ihr Rauschen. Verzerrte Phantomgestalten schossen durch den
Schatten seitlich der Straße und verschwanden so schnell, wie sie kamen. Ich
folgte den flüchtigen Bildern mit dem Blick, doch sie lösten sich in der
Dunkelheit auf.
Ich hielt Amys Schultern fest mit
meinem Arm umfaßt. Den Revolver schußbereit, führte ich sie weiter.
Wir hatten fast den Wendekreis
erreicht, als wir ein lautes, ziehendes Geräusch hörten. Amy schrie auf, als
ein abgesplitterter Ast wenige Zentimeter neben uns auf das Pflaster schlug.
Ich wirbelte herum, den Revolver im Anschlag, und spähte ins Unterholz. Nichts
als schwankende Linien und Schatten.
Ich streckte meinen Arm nach Amy aus, packte
sie am Ellbogen und flüsterte: »Nur der Wind, weiter nichts.«
»Ich habe Angst.«
»Wir sind bald da.«
Wir gingen weiter in die Richtung, wo
Sorianos Wagen stand. Jetzt stieg auch in mir die Spannung, und ich versuchte
in der Dunkelheit zu erkennen, ob er vielleicht in der Nähe seines
Fluchtgefährts herumstrich. Ich sah niemanden und hörte nichts.
Hinter dem Wagen begann ein schmaler,
unbefestigter Weg, der durch ein Gehölz zu dem erleuchteten Haus führte. Wir
bogen dort ein. Das Unterholz reichte auf beiden Seiten unmittelbar an den Weg
heran. Das Rauschen und Seufzen der windgepeitschten Äste überdeckte alles bis
auf die allerlautesten Geräusche. Wenn ich mich umsah, tanzten und sprangen
Phantomgestalten umher und narrten meine Augen.
Ich sagte zu Amy: »Machen wir
schneller« und eilte voraus.
Als wir das Gehölz hinter uns hatten,
schlängelte sich der Weg durch eine große, freie Fläche. Das Haus lag noch etwa
fünfzig Meter entfernt. Ich wartete, bis wir weit genug draußen waren, dann
hielt ich an und sondierte das Terrain rundherum. Niemand war zu sehen. Drüben
beim Haus fing ein Hund an zu bellen. Er mußte an der Kette liegen, denn er kam
nicht angerannt, um nachzusehen, wer sich näherte.
Amy stand schweigend und regungslos
neben mir. Ich sah sie an und merkte, daß ihre Angst verflogen war. Ihr Mund
hatte sich entspannt, und ihr träger Blick zeigte mir, daß sie jetzt nur noch
automatisch reagierte. Jedes Gefühl schien erloschen. Sie fragte nicht, warum
wir stehengeblieben waren, sondern wartete nur ruhig ab.
Ich sah ihr prüfend ins Gesicht. Es war
blaß im Mondlicht. Ich fragte mich, ob sie sich der Dinge um sie herum genügend
bewußt war, um das zu tun, was ich mit ihr vorhatte. Dann kam ich zu dem
Schluß, daß ihr tranceartiger Zustand sich vielleicht sogar zu meinem Vorteil
auswirken konnte.
»Amy,
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