Mord ohne Leiche
ich dachte, das war
nur so ein Vorwand, um hier reinzukommen und mich noch einmal zu belästigen.«
»Es war kein Vorwand. Tracys Leiche ist
gefunden worden. Bei einem Cottage am Napa River, das Leuten namens Barbour
gehört.«
Was sie noch an Farbe im Gesicht gehabt
hatte, war nun dahin. Das Kinn fiel ihr herunter, und sie sank gegen die Theke.
»Sie war die ganze Zeit schon tot, Amy. Versteckt in dem alten Fischerboot am
Ufer. Sie besteht nur noch aus Knochen.«
»Nein, nein, nein, nein!«
»Die ganze Zeit hat sie dort gelegen — und
Sie haben es gewußt, und Sie haben nichts gesagt.«
»Ich wußte es nicht! Ich — « Vorn im
Apartment ging eine Tür auf. Amy warf einen schreckensstarren Blick in die
Richtung und schrie: »Nein!«
»Amy, was, zum Teufel, ist hier los?«
Ein Mann kam quer durch das Wohnzimmer gestürmt: ein großer, rundlicher Kerl
mit Clownsgesicht im Bademantel. Der breite Mund verzog sich entsetzt, als er
mich sah.
Ich stand auf. »Marc Emmons«, sagte
ich. »Seit Tagen versuche ich, Sie zu erreichen.«
»Wer...?« Er sah Amy an. »Ist sie das?«
Sie nickte.
Emmons ging schnell zu ihr und legte
ihr einen Arm schützend um die Schultern. In ihren Bademänteln und mit ihrer
mangelnden morgendlichen Attraktivität paßten sie perfekt zusammen. »Was haben
Sie mit ihr gemacht?« wollte Emmons wissen.
»Ihr ein paar Neuigkeiten überbracht,
die Sie sich auch anhören sollten. Tracy Kostakos’ Leiche ist gefunden worden.
Wahrscheinlich ist sie schon seit der Nacht ihres Verschwindens tot. Aber
vielleicht wußten Sie das ja schon, Marc. Amy wußte es.«
»Ich wußte es nicht! Ich schwöre, daß
ich es nicht gewußt habe!« sagte Amy.
Emmons zeigte kaum eine Reaktion — er
preßte die Lippen zusammen, mehr nicht. Er legte auch den anderen Arm um Amy,
als müsse er sie gegen meine Anschuldigungen schützen. »Wie kommen Sie darauf?«
fragte er.
»Sie wurde in der Nähe eines Cottages
am Napa River gefunden. Ich glaube, das Anwesen gehört Amys Familie.«
Emmons sah zu ihr hinunter. »Das alte
Sommerhaus?«
Sie nickte mit klappernden Zähnen.
»Das war es also?« sagte er sanft.
»Die Nachricht scheint Sie nicht
besonders zu berühren.«
»Ich bin kein Mensch, der Fremden seine
Gefühle zeigt. Außerdem ist Tracy so lange schon fort, und ich habe ein neues,
ein eigenes Leben angefangen.«
»Offensichtlich.«
»Gut. Setzen wir uns und trinken
Kaffee.« Er löste seine Arme von Amy. »Liebling, machst du uns Kaffee?«
Als hätte er seine Aufforderung
verstanden, fing der Kessel an zu pfeifen. Amy ging zum Herd. Emmons zeigte auf
den Stuhl, auf dem ich vorher gesessen hatte. »Bitte.«
Ich setzte mich wieder, und er nahm auf
der anderen Seite des Tisches vor dem Fenster Platz. Über den Hügeln an der
East Bay dämmerte es. Zwischen den Anhöhen und den Wolken darüber zog sich eine
dünne, opalisierende Linie hin. Emmons’ Gesicht lag im Schatten, trotzdem
konnte ich erkennen, daß die Winkel seines Clownsmundes nach unten zeigten.
Obwohl er grimmig-konzentriert die Tischplatte anstarrte, hatte ich das Gefühl,
daß er sie gar nicht wirklich sah. Dachte er an Tracy? Oder gingen ihm andere Dinge
durch den Kopf — Dinge, die er verbergen wollte?
Als Amy den Kaffee brachte, zitterten
ihr die Hände so sehr, daß die Tassen auf ihren Untertellern klapperten. Sie
trippelte um den Tisch herum und rückte ihren Stuhl ein Stück näher an Emmons
heran. Ihre Schultern berührten sich.
Ich fragte: »Wie kam Tracy in das
Cottage Ihrer Familie?«
Sie warf Emmons einen Blick zu, bevor
sie sprach. »Sie hat sich die Schlüssel genommen. Sie fuhr häufig dorthin,
immer wenn sie einen ruhigen Ort brauchte, wo sie ein paar Tage allein sein und
nachdenken konnte. Es kam sonst niemand dorthin. Mein Vater — der alte
Scheißkerl — lebt mit seiner vierten Frau in Mexiko. Meine Mutter ist wieder in
New York mit ihrem dritten Ehemann. Und meine Schwester ist viel zu sehr mit
ihrer tollen Karriere im Silicon Valley beschäftigt, um sich damit abzugeben.
Ich selbst bin seit Jahren nicht draußen gewesen.«
»Was war das, worüber Tracy nachdenken
wollte?«
»Wie soll ich das wissen? Trace hat mir
nie etwas erzählt.«
»Sie sagten, ihr hättet Vertrauen
zueinander gehabt. Ihr wärt die besten Freundinnen gewesen.«
»Ich habe es freundlicher ausgedrückt,
als es war. Ich vertraute ihr alles an, sie hörte zu. So war sie zu
allen — und dann benutzte sie sie. Glauben Sie, ich hätte nicht
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