Mord ohne Leiche
muß. Sie ruft schon den ganzen Nachmittag an.«
»Wer?«
»Ihren Namen wollte sie mir nicht
sagen, aber sie sagt, es ist wichtig.«
»Sie soll dir ihre Nummer geben, ich
rufe zurück.«
Rae ging auf die andere Leitung und war
nach wenigen Sekunden wieder da. »Shar, sie will noch immer kein Wort sagen.
Nur, daß sie später wieder anruft.«
»Verdammt! Wahrscheinlich geht es um
diesen Fall.«
»Wenn sie wieder anruft, bringe ich sie
irgendwie dazu, mir eine Telefonnummer zu nennen, oder ich sage ihr, sie soll
herkommen. Was war los in L. A.?«
Ich erklärte ihr kurz, daß ich Lisa McIntyre
gefunden hatte und was das wahrscheinlich bedeutete.
Als ich zu Ende war, sagte Rae: »Weißt
du, es ist komisch, aber ich glaube, Larkey hat so etwas Ähnliches vermutet.«
»Larkey? Was hat er denn damit zu tun?«
»Als ich ihn anrief, um eure
Verabredung abzusagen, hörte er sich irgendwie niedergeschlagen an, und deshalb
erzählte ich ihm, du seist nach L. A. geflogen, um Tracy ausfindig zu machen.
Ich dachte, das würde ihn aufmuntern — du sagtest ja, daß er sie gern gemocht
hat — , aber das tat es nicht. Er bat mich, dir auszurichten, daß du ihm
Bescheid gibst, wie es ausgegangen ist. Er sagte, wenn das da unten nicht Tracy
wäre, würde er morgen nach Napa fahren und diese Zahnunterlagen noch einmal
prüfen. Scheint, daß er sich Gedanken darüber gemacht hat und ihm irgend etwas
merkwürdig vorgekommen ist.«
»Was denn?«
»Darüber konnte er nichts Genaueres
sagen. Er saß mit anderen Leuten zusammen.«
Wahrscheinlich war ihm aufgegangen,
dachte ich, daß es besser wäre, das Vertauschen der Röntgenbilder und die
falsche Behauptung, es handle sich nicht um Tracys Leiche, zu kaschieren.
Vielleicht hatte er vor, nach Napa zu fahren, sich die Gebeine anzuschauen und
sie richtig zu identifizieren, um so jeden Verdacht von sich abzulenken. Ich
sagte: »Ich werde später mit ihm reden. Weitere Nachrichten?«
»George Kostakos. Er ist zu Hause.«
»Was ist mit Jack — wo ist er?«
»Mußte in einem anderen Fall nach
Sacramento.«
»Wenn du ihn vor mir siehst, erzähl
ihm, was passiert ist. Aber jetzt gleich mußt du erst etwas für mich tun. Ich
weiß nicht, ob es überhaupt im Bereich des Möglichen liegt, aber ich brauche
ein Exemplar der L. A. Times, Stadtausgabe, vom 2. Februar des Jahres,
in dem Tracy Kostakos verschwand.«
»Ich wende mich an die Bibliothek.«
»Ich habe meine Zweifel, daß die noch
offen ist.«
»Das ist eine harte Nuß.« Rae hörte
sich entmutigt an, fing sich aber gleich wieder. »Vielleicht hat Hank eine
Idee.«
»Hank. Wohnt er noch immer auf seiner
Couch?«
»Seit dem besagten Morgen.«
Das war eine weitere Sache, um die ich
mich kümmern wollte — aber nicht, bevor dieser Fall abgeschlossen war. »Gut,
frag ihn.«
»Mach ich. Übrigens, ich bin vorhin bei
dir zu Hause gewesen, um die Katze zu füttern. Der Bauunternehmer war da. Er
sagte, ich brauchte mich ums Abschließen hinter ihm nicht zu kümmern, du
hättest ihm einen Schlüssel für den Seiteneingang gegeben.«
»Ja — er hat einen Auftrag zu
erledigen, aber ich konnte mich nicht nach seinen Zeitplänen richten. Danke,
daß du nach Wat geschaut hast.«
»Keine Ursache. Wo kann ich dich
erreichen?«
»Ich weiß nicht genau. Ich melde mich.«
Ich beendete das Gespräch und rief
George in seiner Nobelunterkunft an. Ich wollte ihm selber beibringen, daß ich
Lisa McIntyre lebend gefunden hatte — und ich wollte es ihm persönlich sagen,
weil das bedeutete, daß seine Tochter wirklich tot war. Aber es antwortete nur
die Maschine. In einem gewissen Sinne war das gut, dachte ich, denn nach dieser
Nachricht würde es schwer sein, wieder zu gehen. Und ich mußte so schnell wie
möglich ins Café Comédie.
24
Auf der Bryant Street, etwa in Höhe der
Fourth Street und reichlich zwei Blocks von der South Park entfernt, geriet ich
in einen gewaltigen Verkehrsstau. Etwas merkwürdig für knapp halb elf Uhr
abends, dachte ich.
Ich klopfte mit den Fingern auf das
Lenkrad und starrte auf das Meer von roten Rücklichtern vor mir. Dann schaltete
ich das Radio ein, um vielleicht den Grund für den Stau zu erfahren. Aus alter
Gewohnheit drückte ich auf die Taste, unter der ich KSUN programmiert hatte,
einen Mittelwellensender mit ausgesprochenem Hard-Rock-Programm. Mein
verflossener Liebhaber, Diskjockey Don Del Boccio, hielt gerade Hof auf dem
prestigeträchtigen Spätabend-Sendeplatz. (Soweit man es,
Weitere Kostenlose Bücher