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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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schluchzte lauter. »Der
Schweinehund! Er hat es versprochen!«
    »Wer, Kathy?«
    »Jay, ach, Jay...«
    »Was hat er versprochen?«
    Sie hob ruckartig den Kopf. Er stieß
schmerzhaft gegen mein Kinn. Ich schob ihn wieder nach unten, und meine Jacke
dämpfte den schrillen Schrei, den sie ausstoßen wollte. »Sie braucht einen
Arzt«, sagte ich zu Mike.
    »Den brauchen alle dort.« Er zeigte auf
die Leute im Park. »Es gibt nicht genug Ärzte und Sanitäter.«
    Natürlich hatte er recht. »Kennen Sie
ihren Arzt?«
    »Die meisten von uns gehen in die
Potrero-Klinik, doch ich nehme kaum an, daß sie — «
    »Nein, aber vermutlich hat sie ihren
Arzt ohnehin drüben in Marin City. Im Notfall tut es deswegen auch die Klinik.
Helfen Sie mir, sie aufzurichten.«
    Wir zogen Kathy auf die Füße. Sie
stolperte und schwankte zwischen uns. Der hysterische Anfall war jetzt vorbei.
Ich sagte zu Mike: »Mein Wagen steht ein paar Blocks entfernt. Kommen Sie mit?«
    Er nickte, und wir bahnten uns einen
Weg durch die Menge. Dieselben Leute, die die Ambulanz nicht hatten durchlassen
wollen, warfen Kathy jetzt mitleidige Blicke zu und machten uns Platz.
    Der Verkehr auf der Bryant Street floß
wieder langsam. Er wurde über die Fourth Street in Richtung China Basin
umgeleitet. Jenseits der Townsend Street gab es eine Auffahrt zum Freeway 280,
dem schnellsten Weg nach Potrero Hill. Mit einigem Glück konnte ich Kathy in
einer halben Stunde in der Klinik haben. Mike und ich ließen sie in den
Beifahrersitz des MG sinken, dann lief er zurück zum South Park, um anderen zu
helfen.
    Kathy saß schweigend und
zusammengesunken neben mir und ließ den Kopf hängen. Als ich mich mit dem Wagen
in den kriechenden Verkehr einfädelte, ließ sie ein zittriges Schluchzen hören,
wie ein Kind, das bis zur Erschöpfung geweint hat. Ich sah sie an und fragte
mich, ob sie wohl verdrängt hatte, daß ihr Mann und ihr Liebhaber
wahrscheinlich tot waren. Ich hoffte es für sie.
    Glücklicherweise wußte ich, wo die
Klinik lag — an der Arkansas Street in der Nähe des Potrero-Hill-Spielplatzes.
Ich hielt an dem weißmarkierten Bordstein davor an, ging um den Wagen und zog
Kathy heraus. Sie war jetzt schwer wie eine Tote, und ich stolperte unter der
Last. Ein junger Mann in weißem Kittel eilte mit einem Rollstuhl herbei.
Geschickt setzte er Kathy hinein und rollte sie ins Haus.
    Die Klinik sah aus wie viele Betriebe
dieser Art mit geringem Budget und geringen Kosten: alt, spärlich eingerichtet,
aber sauber gestrichen und mit farbigen Postern. Der junge Mann rollte Kathy zu
einem Empfang, über dem AUFNAHME stand. Ich war erleichtert, Leora Whitsun
dahinter sitzen zu sehen. Als sie uns erkannte, stand sie auf und sah uns
besorgt an.
    Ich erklärte ihr kurz, was passiert
war. »Mir ist nichts Besseres eingefallen, als sie hierher zu bringen«, fügte
ich hinzu. »Sie ist in einer Verfassung, daß sie mir nicht einmal ihren Arzt
nennen kann.«
    »Das geht schon in Ordnung. Wir machen
keine Unterschiede.« Leora erlaubte sich ein feines, ironisches Lächeln, griff
dann nach dem Telefonhörer, wählte und sprach ruhig in die Sprechmuschel.
»Zimmer A«, sagte sie zu dem jungen Mann. Dann wandte sie sich an mich und
sagte: »Sie setzen sich am besten dort drüben hin, Sharon. Da liegen Magazine,
und in der Maschine in der Ecke ist Kaffee. Es wird ein bißchen dauern.« Sie
griff nach einem Klemmbrett und folgte dem Rollstuhl.
    Ich setzte mich auf eines der beiden
gelben Kunstledersofas. Mir gegenüber saß ein junges Hispano-Paar so
aneinandergeschmiegt, als brauche es Wärme. Das Gesicht der Frau war
zerknittert und voller Tränenspuren. Der Mann war gerade erst zwanzig, doch in
seinen schwarzen Augen stand, daß es nichts gab, was sie nicht schon gesehen
hatten. Er strich der Frau immer wieder über das Haar und murmelte den
Kosenamen »querida«. Um nicht zu stören, griff ich nach einer ein Jahr
alten Ausgabe von Field and Stream und hielt den Blick auf eine Anzeige
für Gewehre gerichtet. Nach einiger Zeit kam ein Arzt an die Tür und winkte das
junge Paar dorthin, wo auch Kathy verschwunden war. Ich legte die Zeitschrift
beiseite und sah mich nach einem Münztelefon um, um All Souls anzurufen.
    Ich wollte schon den Apparat am Empfang
nehmen, als Leora zurückkam. »Der Doktor möchte sie über Nacht hier behalten«,
sagte sie, »bis wir etwas über ihren Mann wissen. Sind Sie sicher, daß er in
den Flammen umgekommen ist?«
    »Das weiß man noch

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