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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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Chance nutzen, auch wenn sie noch so klein war.
    »Pst«, machte er.
    Flink trat der
Wärter heran, holte mit dem Knüppel aus und sagte: »Die Gitterstäbe loslassen,
sofort! Sonst gibt es was auf die Flossen.«
    »Wissen Sie, wer
ich bin?«
    »Und wenn du der
König von Siam bist – ist mir egal.«
    »Mein Name ist Dr.
Sanftleben. Ich bin ein bekannter Schriftsteller und habe Geld.« In den Augen
des Wärters glomm etwas auf. War es Gier oder Heimtücke? Eilig sprach Otto
weiter. »Ich brauche jemanden, der eine Nachricht überbringt. Mein Diener Moses
hält sich im Haus meiner Eltern auf. Die Adresse lautet Pariser Platz 7.«
    »Feine Gegend.«
    Der Mann schien zu
begreifen, dass seine Familie vermögend war. Sehr gut, dachte Otto und fuhr
fort: »Jemand muss zu ihm gehen und ihm ausrichten, dass ich hier gefangen bin.
Er soll sich sofort mit Kommerzienrat Vitell in Verbindung setzen, damit dieser
meine Freilassung erwirken kann. Ich lasse mir Ihre Mühen auch etwas kosten.
Sagen wir hundert Mark?« Als der Wärter keine Miene verzog, setzte Otto hinzu:
»Oder zweihundert? Ach, machen wir fünfhundert Mark! Das ist mein letztes
Angebot. Geben Sie meinem Diener Ihren Namen und Ihre Anschrift, und ich
schicke Ihnen das Geld, sobald ich hier raus bin.« Otto steckte seine Hand
durch die Stäbe und hoffte sehnlichst, der andere würde einschlagen. »Sind wir
uns einig?«
    »Zum letzten Mal:
Lass die Gitterstäbe los«, sagte der Wärter. Dann grinste er und setzte seine
Runde fort. Während er den Knüppel an den Gitterstäben entlangzog, pfiff er ein
Lied.
    »Sechshundert
Mark«, rief Otto ihm nach.
    Die nächsten
Stunden verrannen zäh. Otto lag auf der Pritsche und starrte an die Decke. Dann
erklangen erneut Schritte. Kam jemand, um ihn zu holen? Er sprang auf die Füße,
rannte zu den Gitterstäben, blickte aufgeregt hinaus und sah einen Mann vor seiner
Zelle stehen. Obwohl er ihm nur einmal begegnet war, erkannte er ihn sofort. Es
war Kriminaldirigent von Grabow. Er hatte seine Hände auf dem Rücken
verschränkt und trug einen Gesichtsausdruck zur Schau, als sei er Mitglied der
Heiligen Inqui- sition.
    Otto befürchtete
das Schlimmste. Hatte der Wärter den Bestechungsversuch etwa angezeigt?
Möglicherweise wollte ihm der Kriminaldirigent nun mitteilen, dass er ein
Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte. Oder erschien er nur, um seinen Sieg
auszukosten? Immerhin saß Don Quichotto, der Querulant, nun hinter Gittern.
Hoffentlich hatte er keine Ahnung von dem Bestechungsversuch. Dann wäre es
möglich, den Kriminaldirigenten davon zu überzeugen, ihn laufen zu lassen.
    »Begreifen Sie
jetzt«, sagte von Grabow mit seiner seltsam hohen Stimme, »wohin Ihr kindischer
Aufstand Sie geführt hat?«
    Kindischer
Aufstand?, dachte Otto. Damit konnte nur die wilde Fahrradfahrt, nicht aber der
Bestechungsversuch gemeint sein. »Sie haben ja recht«, sagte er. »Ich bin
diesen Vehikeln verfallen. Es sind …«, er erinnerte sich an die Formulierung
des Kriminaldirigenten im Club von Berlin, »… Ungetüme aus Stahl und Blech,
die die Sittlichkeit untergraben. Erst jetzt begreife ich, wie gefährlich sie
sind. Die Haft ist mir eine Lehre. Sie hat mir die Augen geöffnet.«
    »Ich dachte mir,
dass Sie etwas in dieser Richtung sagen würden«, erwiderte der
Kriminaldirigent. Jetzt erst sah Otto, wie echauffiert von Grabow wirkte. An
seinem Haaransatz glitzerten Schweißtropfen. Seine Augen glänzten fanatisch,
der altmodische Gehrock war schief zugeknöpft. Und auf seinem Handrücken
prangte eine lange, blutige Kratzspur.
    »Dann lassen Sie
mich gehen?«
    »Die Haft scheint
Sie ja zur Besinnung gebracht zu haben.«
    »Ich weiß nicht,
wie ich Ihnen danken soll.«
    »Danken Sie lieber
dem Allmächtigen. Knien Sie nieder und beten Sie mit mir. Vater unser im
Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich …« Als er das Gebet zu Ende
gesprochen hatte, sagte von Grabow: »Sie können jetzt aufstehen. Sobald Herr
Piefke am Montag zurückkehrt, wird er Ihre Entlassungspapiere ausfüllen.«
    »Am Montag?«
    »Nutzen Sie die
Zeit und halten Sie Zwiesprache mit dem Allmächtigen! Wer sich ihm anvertraut,
wird auf den rechten Pfad geführt werden. Sogar für Leute von Ihrem Schlag
stehen die Pforten offen.«
    Otto klammerte
sich an die Gitterstäbe. »Herr Kriminaldirigent, warten Sie! Montag ist zu
spät. Ich muss den Zug nach München erreichen.«
    Doch von Grabow
marschierte schon den Gang entlang. Ohne sich umzudrehen, hob er

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