Mord unter den Linden (German Edition)
Komma
zweiunddreißig Meter. Die gängige Breite also, die sich bei fast allen Arbeitsfuhrwerken,
Droschken, Equipagen, Karren und fahrbaren Wassertonnen fand. Deshalb würden
die Spuren die Ermittlung kaum voranbringen. Schade, er hatte auf ein
außergewöhnliches Maß gehofft, das ihn zu einem bestimmten Kutschenbauer
führte, und der wiederum zu einem speziellen Kunden.
Vor den
Wagenspuren hatten sich die Hufabdrücke zweier Pferde in den Grund gedrückt.
Etwa vier Meter weiter erkannte Funke auf einer lehmigen Fläche zudem mehrere
Schuhabdrücke, die in unterschiedliche Richtungen wiesen. Spitz zulaufende
Damenschuhe sowie klobige Herrenstiefel waren darunter. Sogar ein Kind war hier
entlanggerannt. Und da war auch der Abdruck mit dem Kreuzprofil.
Während die
Schutzleute miteinander tuschelten, stemmte sich der Commissarius in die Höhe.
Die Abgeschiedenheit des Platzes und das dichte Blätterdach eigneten sich nicht
nur für verliebte Pärchen und ein geheimes Stelldichein, sondern auch, um einen
Pferdewagen vor neugierigen Blicken zu schützen. Jedenfalls wusste er nun
immerhin, dass der Täter höchstwahrscheinlich einen Wagen benutzt hatte, um das
Opfer, das Kreuz und das Werkzeug an den Tatort zu transportieren. Aus dieser
Erkenntnis ergaben sich neue Fragen: Gehörte das Gefährt dem Mörder? Oder hatte
er den Wagen geliehen? Und wenn ja, von wem?
Daneben
beschäftigte ein anderer Aspekt den Commissarius. Wie schon beim Mord an Elvira
Krause hatte der Täter auch diesmal, um das Kreuz aufzustellen, ein Loch
gegraben und zwei Pflöcke in den Boden getrieben. Mitsamt Opfer hatte das Kreuz
ein beträchtliches Gewicht und musste in die Höhe gestemmt werden. All das war
unmöglich von einer Person allein zu bewältigen. Der Mörder musste also einen
Komplizen haben.
Auf der Rennbahn in München
Der Wetterbericht
hatte Regen angesagt, und eine dichte Wolkendecke hing über dem Stadion.
Trotzdem hatten sich zahlreiche Zuschauer eingefunden. Auf der Tribüne rückten
sie dicht zusammen, um sich gegen den Wind zu schützen. Überall wurden
Picknickkörbe geöffnet, und die hungrigen Radsportfreunde verzehrten
Butterbrote, kaltes Hähnchen oder Kuchen. Journalisten liefen vor der Tribüne
auf und ab und schrieben eifrig in ihre Notizblöcke. Überall herrschte
hektisches Treiben.
Otto fühlte sich
seltsam gefasst, als er an die Absperrung trat und sich umschaute. Im
Aufwärmbereich hielten sich viele alte Bekannte auf: Rennfahrer und Monteure
aus ganz Deutschland.
»Siehst du
Jean-Paul und Anna irgendwo?«, fragte er.
»Sie werden schon
noch auftauchen«, erwiderte Ferdinand.
In diesem Moment
fiel der Startschuss für die Dreirad-Meisterschaft über fünftausend Meter. Die
Sportler fuhren sehr zögerlich, das Rennen war offenbar taktisch ausgerichtet.
Die Führung wechselte mehrere Male, ohne dass ein Athlet einen Ausbruchsversuch
unternahm. Noch beim Einläuten der letzten Runde war das Feld dicht beisammen.
In der vorletzten Kurve erst legten die Fahrer an Tempo zu. Mit einem lauten
Krachen kollidierten drei Männer und konnten das Rennen nicht beenden. Tobias
Herbel vom Bicycle Club Mannheim setzte sich im Schlussspurt durch und siegte
mit zehn Komma null eins Minuten.
Es folgte die
Hochrad-Meisterschaft über zehntausend Meter, bei der das Publikum insbesondere
auf August Lehr vom Bicycle Club Frankfurt am Main achtete, der im vergangenen
Jahr beste Zeiten über diverse Distanzen gefahren war und es nicht nur in
Fachkreisen zu einiger Berühmtheit gebracht hatte. Plötzlich wurde Otto
bewusst, dass sein Rennen, die Niederrad-Meisterschaft über tausend Meter, das
nächste war. Eilig begann er sich aufzuwärmen. Mit den Armen rudernd lief er
auf und ab, dann machte er einige Kniebeugen und dehnte sich.
Ferdinand, der
noch letzte Hand an Ottos Rad gelegt hatte, wischte sich das Öl von den
Fingern. »Pass auf, dass du nicht wieder auskühlst. Kalte Muskeln neigen zu
Zerrungen. Denk nur an das Malheur in Straßburg. Hier, nimm besser die
Wolldecke.«
»Danke«, sagte
Otto. Nur zu gut erinnerte er sich, wie er sich mitten im Rennen den
Oberschenkel gezerrt hatte und aufgeben musste. Er wickelte sich in die Decke
und setzte sich hin. Zum x-ten Mal ging er im Geiste seine Konkurrenten durch.
Dreizehn Nennungen
lagen vor, allerdings war kurzfristig ein Name gestrichen worden. Theodor Jaide
vom Radfahrer-Verein Rüsselsheim konnte nicht starten; er war vor drei Tagen
schwer gestürzt. Der vorjährige
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