Mord unter den Linden (German Edition)
aber auch Ferdinand sah ihn nur erstaunt
an und sagte:
»Lina hat mir
selbst gesagt, dass ihre Beine vom vielen Stehen wieder ganz dick sind und dass
sie froh ist, sie hochlegen zu können. In der Küche ist niemand mehr.«
»Jetzt hört mal«,
sagte Otto ungeduldig. »Ich bin mir sicher, dass irgendjemand euch schon was zu
essen geben wird.«
Rieke kicherte.
Ferdinand
blinzelte mehrmals und fragte: »Warum bist du denn so ungemütlich?«
»Ich bin nicht
ungemütlich«, sagte Otto und presste die Lippen zusammen. So clever beide in
technischer, musikalischer oder literarischer Hinsicht auch waren, im Alltag
waren sie manchmal etwas schwer von Begriff. »Wenn ihr erlaubt, würden Rieke
und ich gern noch ein wenig allein sein.«
»Das ist doch kein
Grund, um so aus der Haut zu fahren«, sagte Moses und gab Ferdinand ein
Zeichen. Synchron stemmten sie sich hoch und klopften sich die Hände ab. Artig
verabschiedeten sie sich von Rieke, versicherten ihr, wie schön es gewesen sei,
sie kennengelernt zu haben, warfen Otto beleidigte Blicke zu und trotteten über
den Rasen davon.
Nachdem sie aus
Ottos Blickfeld verschwunden waren, lehnte Rieke den Kopf an seine Schulter und
sagte: »Ich finde die beiden sehr nett. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich
zuletzt einen so schönen Abend hatte. Vielen Dank!«
Otto streichelte
ihr zärtlich über das Haar und genoss ihre körperliche Nähe. »Wir werden noch
viele solche Abende erleben.«
Rieke hob den Kopf
und betrachtete ihn eine Weile. Ihre Augen wanderten über sein Gesicht, als
wollte sie sich jedes Detail einprägen. Dann schmiegte sie sich wieder an ihn.
Plötzlich bebte ihr Körper, und Otto spürte, wie ihre Tränen auf sein Hemd
tropften. Er wollte ihr Kinn anheben und sie fragen, was los war, doch sie kam
ihm zuvor.
»Ich beruhige mich
gleich wieder. Es ist so friedlich und so schön hier. Lass uns den Moment genießen,
ja?«
Otto schwieg und
streichelte beruhigend über ihren Rücken. Nach und nach verebbte ihr
Schluchzen. Da fiel Ottos Blick auf ihren Unterarm. Er lag quer über seinem
Schoß. Unter dem transparenten Ärmel zeichneten sich rotbraune Narben ab, die
eine Art rasterförmiges Muster bildeten. Er erinnerte sich, dass ihm die Narben
schon beim Verhör im Polizeipräsidium aufgefallen waren. Nun sah er genauer
hin. Die einzelnen Narben waren etwa fünf Zentimeter lang. Insgesamt mussten es
bestimmt fünfzig sein. Otto berührte eine Narbe mit dem Zeigefinger und
zeichnete sie nach. »Wer hat dir das angetan?«
»Ich.«
»Was? Wieso?
Jemand muss dich dazu gezwungen haben.«
»Nein, niemand.«
»Aber das muss
doch fürchterlich wehgetan haben.«
»Gerade deshalb
hab ich es ja getan. Eines Tages erkläre ich es dir, aber nicht heute.«
Gedankenverloren
zupfte Otto an ihrem Ärmel. Auch wenn er nicht begriff, wie ein Mensch sich
selbst verletzen konnte, stellte er keine weiteren Fragen. In der Zeit, als
Rieke sich selbst Schmerzen zugefügt hatte, hatte sie sich vermutlich nicht
besonders gemocht. Vielleicht hatte sie etwas Schlimmes erlebt. Vielleicht
hatte sie geglaubt, Schuld auf sich geladen zu haben, und hatte sich bestrafen
wollen. Otto beschloss, in der Königlichen Bibliothek zu diesem Phänomen zu
recherchieren. Vielleicht konnte er ihr helfen.
Plötzlich spürte
er, wie sie seinen Hals küsste. Die zarte Berührung jagte einen Schauer über
seinen Rücken. Da setzte sich Rieke auf, nahm sein Gesicht in die Hände und sah
ihm fest in die Augen. »Du darfst mich niemals vergessen! Hörst du?«
»Das verspreche
ich dir«, sagte Otto und küsste sie.
Wenig später
betraten sie sein Schlafzimmer. Rieke ging durch den Raum, blieb vor der
Balkontür stehen und drehte sich zu ihm um. Das Morgenlicht schimmerte in ihrem
Haar. »Bleib da stehen«, sagte sie.
»Was hast du
vor?«, fragte Otto. Er sehnte sich nach weiteren Küssen, nach weiteren
Berührungen.
Rieke öffnete den
Verschluss ihrer Kette, nahm den Schmuck ab und legte ihn zusammen mit ihren
Ringen auf den Nachttisch. Dann löste sie die Haken und Ösen ihres Kleids. Ihre
Augen schimmerten.
»Ich möchte, dass
du mich ansiehst«, sagte sie.
Offenbar genoss
sie seine Blicke, ja sie forderte sie geradezu heraus. Mit geröteten Wangen
stieg sie aus dem Kleid und schob es mit dem Fuß zur Seite. Sie streifte die
schmalen Träger ihres Hemdchens über ihre Schultern, und der Stoff fiel
rauschend zu Boden. Nackt stand sie vor ihm. »Gefalle ich dir?«, fragte sie.
»Du
Weitere Kostenlose Bücher