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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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frühen
Morgenstunden.«
    »Du meine Güte«,
sagte Otto und schlug die Hand vor den Mund. Mit einem Mal fiel der letzte Rest
cognacseliger Benommenheit von ihm ab.
    Dann berichtete
der Commissarius von dem Leichenfund auf dem Lehrter Güterbahnhof und schloss
seine Erzählung mit den Worten: »Die junge Frau ist sicherlich nicht vor
Freitag getötet worden. Da saß von Grabow aber schon längst in Haft. Und das
heißt: Der Frauenmörder läuft immer noch frei herum.«

In Buffalo Bill's Wild West Show
    Am nächsten
Nachmittag nahmen Otto, Moses und Ferdinand ihre Logenplätze ein, von denen sie
einen sehr guten Blick auf die Manege hatten. Die Tribünen boten zehntausend
Menschen Platz und waren restlos ausverkauft. Kein Wunder, denn sogar der
Kaiser zählte zu den Bewunderern von Buffalo Bill.
    »Wenn es
Kriminaldirigent von Grabow nicht war«, fragte Ferdinand, dem Otto haarklein
von den neuesten Ereignissen berichtet hatte, »wer war es dann?«
    Otto trug einen
Hut mit breiter Krempe, um seine Augen vor dem Sonnenlicht zu schützen. Er
hatte immer noch einen muffigen Geschmack im Mund, und ein rauer Pelz lag auf
seiner Zunge. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt einen so
hartnäckigen Kater gehabt hatte. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er und spürte,
wie sich wieder sein schlechtes Gewissen bemerkbar machte. Möglicherweise hatte
er sich bei der Verfolgung des Kriminaldirigenten zu sehr von seiner Abneigung
gegen ihn leiten lassen. Irgendwie fühlte er sich schuldig an von Grabows Tod.
    »Eines kann ich
dir jedenfalls versichern«, sagte Ferdinand, als ob er seine Gedanken gelesen
hätte. »Du hast ihn nicht in den Selbstmord getrieben. Dafür trägt er ganz
allein die Verantwortung. Vergiss nicht, dass er junge Mädchen auf die übelste
Art und Weise erpresst hat, um widerliche Fotografien von ihnen zu machen. Wenn
das bekannt geworden wäre, hätte er sich nirgends mehr blicken lassen können,
und seine Anstellung hätte er auch verloren. Er hat seinem Leben ein Ende
gesetzt, um seiner Familie die Schande zu ersparen. Das war ein wohlüberlegter
Schritt und hat nichts mit dir zu tun. Hör auf, dir Vorwürfe zu machen.«
    »Danke«, sagte
Otto. »Das tut mir gut.«
    »Seht doch«, rief
Moses. »Es geht los.«
    Eine bunte Truppe
betrat die Manege: eine Gruppe von Arraphoes-Indianern mit ihrem Häuptling
Black-Heart; Buck Taylor, der König der Cowboys; einige mexikanische Vaqueros,
angeführt von Antonio Esquival; eine Gruppe von Cheyenne-Indianern mit ihrem
Häuptling Eagle Horn; Kunstschützinnen aus dem Westen der Vereinigten Staaten;
Bennie Irving, der kleinste Cowboy der Welt, mit der deutschen Reichsfahne in
der Hand; Boy Chiefs vom Stamm der Sioux mit der amerikanischen Bundesfahne und
schließlich William F. Cody, besser bekannt als Buffalo Bill, der Anführer der
Kundschafter und Scouts der Armee der Vereinigten Staaten. Die Zuschauer
erhoben sich von den Plätzen und applaudierten voller Vorfreude.
    Die Show begann
mit einem rasanten Pferderennen zwischen einem Cowboy, einem Mexikaner und
einem Indianer. Der Indianer erhielt einen Rippenstoß und rutschte seitlich vom
Pferd. Seine Hände pflügten durch den Sand, doch im letzten Moment konnte er
sich mit einem waghalsigen Manöver wieder auf den Rücken des Pferdes ziehen und
erntete donnernden Applaus. Anschließend bewiesen Indianer und Cowboys im
Kunstschießen ihr Können, und kurz vor der Pause stellten die Männer einen
Überfall auf einen Siedlertreck nach.
    Otto durchsuchte
seine Westentasche nach Geld. Auch wenn er heute nicht gerade in Hochstimmung
war, hatte dieser Nachmittag etwas Gutes. Als Moses von den Billetts erfahren
hatte, hatte er sich vor Freude beinahe überschlagen. Der Junge war eben nicht
nur ein rebellischer Leibdiener, sondern vor allem ein Heranwachsender, der
keine Familie hatte und sich nach Zuwendung sehnte. Dazu kam, dass er wegen
seiner Hautfarbe überall ein Außenseiter war und in Berlin keine Freunde
gefunden hatte. Vielleicht bin ich manchmal zu hart zu ihm, dachte Otto.
    »Hier«, sagte er
und drückte Moses Geld in die Hand. »Kauf dir kandierte Früchte oder worauf du
Appetit hast. Und bring mir ein Würstchen mit. Ein Würstchen und einen sauren
Hering, wenn es den gibt. Was willst du haben, Ferdi?«
    »Ich hab mich noch
gar nicht dafür bedankt, dass du die Miete wieder beglichen hast und das hier
alles zahlst. Mir ist es so peinlich, dass du –«
    »Jetzt hör schon
auf! Sag lieber, was Moses dir

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