Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
Vom Netzwerk:
lebenslänglich. Das hat der neue
Kriminaldirigent mir unmissverständlich mit auf den Weg gegeben.«
    »Es tut mir leid,
wenn Sie durch mein unbedachtes Vorgehen Schwierigkeiten haben.«
    »Schon gut. Aber
selbst wenn sich der Verdacht bestätigen sollte – Vitell hat in dieser Behörde
viele Freunde, die nur darauf warten, sich ihm gefällig zu zeigen. Über alles,
was ich gegen ihn unternehmen würde, wäre er binnen weniger Stunden
informiert.« Der Commissarius lehnte sich zurück und schlug die Beine
übereinander. Geziert zupfte er an seiner Perücke, die Otto heute noch fülliger
als sonst vorkam. »Sind Sie sich eigentlich darüber im Klaren, was für ein
Ansehen Vitell genießt?«
    »Ich weiß nur,
dass er Eisenwaren herstellt und mit Kohle handelt, und das sehr erfolgreich.«
    »Das ist aber bei
Weitem nicht alles. Vitell hat mehrere Stiftungen zur Unterstützung von
Kriegswitwen und -waisen ins Leben gerufen. Er ist Gründer der ›Berliner
Gesellschaft zur Versorgung Armer mit Brennmaterial‹, die schon zigtausend
Menschen vor dem Erfrierungstod gerettet hat. Erst vor wenigen Tagen wurde das
von ihm finanzierte Johannesheim in Hennigsdorf eingeweiht. Alle Berliner
Zeitungen haben darüber berichtet.«
    »Ach wirklich?«
    »Ihnen sind
offenbar auch sonst wesentliche Details entgangen. Also, hören Sie: Im
Johannesheim finden Waisen ein neues Zuhause, und zwar unabhängig von ihrer
Konfession. Aber diese Institution ist kein gewöhnliches Kinderheim. Vielmehr
hat Vitell neben dem Haupttrakt Werkstätten erbauen lassen, und er hat mehrere
Lehrer und Handwerksmeister anstellen lassen, die den Jungen und Mädchen eine
solide Berufsausbildung vermitteln. Das alles hat ihn Unsummen gekostet. Und
auch die laufenden Kosten schlagen ganz schön zu Buche. Von den ärmeren
Bevölkerungsschichten wird er als Wohltäter von der Spree gefeiert, die
Reporter loben ihn als Vorzeigeunternehmer. Und dieser Mann, ein Mensch, der so
gut ist und der sich so für die Armen einsetzt, soll ein Mörder sein?«
    »Moment mal«,
sagte Otto. »Die Gründung eines solchen Kinderheims sagt nichts darüber aus,
wie gut jemand ist. Vermutlich hat Vitell aus vollkommen eigennützigen Motiven
gehandelt und lässt so Nachwuchs für seine eigenen Firmen ausbilden.
Wahrscheinlich hat er sich lediglich den Unternehmerstandpunkt zu eigen
gemacht, den schon Alfred Krupp propagiert hat. Die Angestellten sollen für die
guten Arbeitsbedingungen und Bildungsmöglichkeiten dankbar sein und ihre
Dankbarkeit mit Fleiß zurückzahlen. Alfred Krupp hätte aber gleichzeitig lieber
seine Produktionsstätten dem Erdboden gleichgemacht, als auch nur ein einziges
Mal den Forderungen der Arbeiter bei einem Streik nachzugeben. Und was die
Verteilung von Brennmaterial an Bedürftige angeht – nun ja, vielleicht will
Vitell sich einfach als großzügiger Christ hervortun, um in einer
einflussreichen Kirchengemeinde Fuß zu fassen. Das wäre wahrlich nichts Neues.
Über seine wirklichen Motive wissen wir also rein gar nichts.«
    »Sie sind aber
auch kritisch.«
    »Heißt das, dass
Sie etwas herausgefunden haben?«
    Der Commissarius
griff nach seiner Kaffeetasse, die wieder verdächtig nach Cognac roch, und nahm
einen großen Schluck. »Mit Ihren Schnellschüssen bringen Sie uns noch alle in
Teufels Küche.«
    »Aber ich habe
recht? Sie wissen etwas über Vitell?«
    Funke tupfte sich
mit einem Taschentuch den Mund ab. »Was ich Ihnen jetzt sage, Herr Doktor, muss
unter uns bleiben. Sie dürfen es keiner Menschenseele anvertrauen, bis wir
Genaueres wissen. Und schon gar nicht irgendeinem Frauenzimmer! Habe ich mich
klar ausgedrückt?«
    »Glasklar.«
    »In der ›Berliner
Börsen-Zeitung‹ wurden vor einiger Zeit Wirtschaftskapitäne porträtiert, unter
anderem auch unser Freund. Also stattete ich heute Morgen dem verantwortlichen
Redakteur einen Besuch ab. Leider hatte er keine Informationen, die nicht in
dem Artikel standen. Allerdings machte mich eine Bemerkung stutzig.« Funke
legte eine Kunstpause ein. »Der Redakteur erzählte mir, dass sich Vitell strikt
geweigert habe, Auskünfte über seinen familiären Hintergrund zu geben. Als ich
den Journalisten fragte, ob Vitell etwas zu verbergen hätte, zuckte er nur mit
den Achseln und erwiderte, dass ihm dieser Gedanke damals auch gekommen sei.«
    »Und was heißt
das?«
    Der Commissarius
blickte zur Tür, als fürchtete er, belauscht zu werden. »Ich weiß es nicht«,
flüsterte er. »Ich habe allerdings

Weitere Kostenlose Bücher