Mord unter den Linden (German Edition)
er
sich, tief durchzuatmen und sich zu beruhigen. Sein Brustkorb hob und senkte
sich. Kalte Luft strömte in seine Lungen. Doch es half nichts: Mit jeder Faser
seines Körpers spürte er, dass er sich nicht würde beherrschen können.
Da wurde die Tür
aufgerissen, und Eberhard Dürr stand im Rahmen. Er trug ein weißes Nachthemd
und eine Schlafmütze. In seiner Hand hielt er eine Rauchglaslaterne. Er sah
empört aus, wie ein braver Mann, der um seinen wohlverdienten Schlaf gebracht
wurde. »Was ist hier los? Was wollen –«
Otto fiel ihn an
wie ein Raubtier. Obwohl Dürr groß und kräftig war, konnte er den Angriff nicht
abwehren. Mit den Daumen und den Mittelfingern umgriff Otto seinen Hals,
drängte ihn in den Flur und schlug seinen Hinterkopf gegen eine Wand. »Eine
falsche Bewegung und ich erwürge Sie. Ist das klar?«
Dürrs Augen
rollten erschrocken hin und her. In der Dunkelheit sah Otto nur das Weiß seiner
Augäpfel. »Wer … was –«
»Sie reden nur,
wenn Sie gefragt werden!«
Der
Drechslermeister wand seinen Hals in der Umklammerung und krächzte: »Du
beschissener Isidor. Wenn du glaubst, dass ich kusche, dann –«
»Was hab ich
gesagt?«, fragte Otto und drückte noch fester zu. »Ich will wissen, wo Rieke
steckt. Ist sie hier? Was haben Sie mit ihr angestellt? Und warum darf sie mich
nicht mehr sehen?«
»Ich …« Dürrs
Gesicht wurde fahl.
Otto schlug seinen
Hinterkopf erneut gegen die Wand und lockerte den Griff dann etwas. »Wo steckt
Rieke?«
»Wenn … wenn ich
sie erwische, kann sie was erleben.«
»Zum letzten Mal!
Wo steckt Rieke?«
»Ich … ich suche
sie ja selbst. Ich dachte, das Mädchen wäre bei Ihnen.«
»Womit haben Sie
Rieke unter Druck gesetzt? Wie haben Sie Ihre Tochter dazu gebracht
mitzuspielen?«
»Was?«
»Ich weiß
Bescheid! Hat von Grabow auch um sie gebuhlt? Haben Sie die Kreuzigungen
inszeniert, damit er unter Mordverdacht gerät und Sie ihn so loswerden?«
»Was soll das –«
Otto rammte ihm
das Knie in den Unterleib. »Verkaufen Sie mich nicht für blöd!« Dürr schnappte
nach Luft und sackte weg, aber Otto hielt ihn fest und drückte ihn an die Wand.
»Sie wissen genau, was ich meine. Die armen Mädchen haben Sie wahrscheinlich
angefleht aufzuhören. Sie haben vermutlich bis zuletzt um ihr Leben gebettelt.
Und Sie haben sich an ihren Schmerzen geweidet und sind auf den Geschmack
gekommen. Ist es nicht so? Sie sind Abschaum, nichts als Dreck!«
»Nein«, rief Dürr,
um einem erneuten Stoß in den Unterleib zuvorzukommen. »Ich … ich weiß nichts
über die Kreuzigungen, aber wenn Rieke nicht … wenn sie nicht bei Ihnen ist, wird
sie bei ihrem Gönner sein.«
Otto sah ihn
drohend an. »Weiter! Reden Sie weiter«, sagte er.
»Sie war schon oft
bei ihm«, sagte Dürr. »Manchmal auch bis zum Morgen. Der scharwenzelt schon
seit Jahren um sie herum.«
»Reden Sie keinen
Blödsinn! Das hätten Sie niemals zugelassen, dazu sind Sie viel zu
eifersüchtig.«
»Er hat mir
gedroht, dass er mich ruinieren würde, wenn ich sie nicht gehen lasse. Keinen
einzigen Auftrag würde ich mehr erhalten, hat er gesagt.«
»Haben Sie Rieke
deshalb auch erlaubt, in einem Revuetheater aufzutreten?«
»Mir blieb ja
nichts anderes übrig.«
»Und wer soll
dieser Gönner sein?«
»Bevor Rieke zum
Theater ging, arbeitete sie als Serviermädchen. In so einem Verein für feine
Pinkel. Millionenclub heißt er hier, weil so viele reiche Kerle hingehen. Und
da hat sie ihn wohl kennengelernt.«
»Millionenclub?«,
sagte Otto überrascht und versuchte, die neue Information einzuordnen. Erst
neulich hatte er dort einen Vortrag gehalten.
Dürr spürte, dass
Otto unaufmerksam wurde. Er spannte die Muskeln seiner Arme an, seine Hände
ballten sich zu Fäusten. Er wollte schon zum Befreiungsschlag ausholen, doch da
hatte sich Otto wieder im Griff. Er reagierte augenblicklich und drückte mit
aller Kraft zu. Dürr traten die Augen fast aus den Höhlen, er geriet in Panik.
Reflexartig klammerten sich seine Hände um Ottos Arm.
»Finger weg«,
sagte Otto. »Sofort! Dann lockere ich den Griff.«
Dürr wurde
leichenblass, offenbar war er einer Ohnmacht nahe, aber er ließ die Hände
sinken.
Otto rammte ihm
das Knie in den Unterleib. »Ich will seinen Namen. Wie heißt dieser Gönner?«
Dürr stöhnte vor
Schmerzen. Dann brachte er unter großen Anstrengungen heraus: »Es ist
Kommerzienrat Vitell.«
Otto hörte nicht
mehr hin. Vitell?, dachte er. Der seriöse Kommerzienrat
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