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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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nur, was ihm abging? Beide waren kühle Machtmenschen,
beide nahmen sich, was sie wollten. Führte diese Rücksichtslosigkeit zum
Erfolg? Das mochte so sein, aber eines wusste Otto mit hundertprozentiger
Sicherheit: Rücksichtslosigkeit war ganz bestimmt nicht sein Weg zum Glück.

Bei der Baronin von Rheinsberg
    Am nächsten Tag
mietete Otto am Bahnhof in Fürstenberg einen offenen Landauer für sich,
Ferdinand und Moses, die sich nicht davon hatten abhalten lassen, ihn zu
begleiten. Wenig später fuhren sie vorbei am Röblinsee, dann über Feld- und
Wiesenwege bis nach Neuglobsow, wo der Kutscher die Pferde auf die nördliche
Ausfallstraße lenkte, die geradewegs in den Wald führte. Bald schlossen sich
die Äste über ihren Köpfen zu einem Tunnel und hielten das Sonnenlicht fern. Am
Wegesrand tummelte sich ein Eichhörnchen.
    Otto faltete die
»Berliner Zeitung« zusammen und blickte sorgenvoll vor sich hin. Das Blatt
hatte einen ausführlichen Artikel über »das fleißige Lieschen« gebracht, und
nun dachte er an das, was Funke ihm über das Mädchen erzählt hatte. Ihr Leib
war mit Stichwunden übersät gewesen. Warum wurden die Frauen nur so bestialisch
gequält? Tötete Vitell aus sadistischen Motiven?
    Unter Sadismus
verstand man, wie Otto noch am Vormittag bei Prof. Krafft-Ebing nachgelesen
hatte, ein Sexualverhalten, das auf Demütigung, Unterdrückung und Schmerz
ausgerichtet war und bei dem es darum ging, den Willen des Opfers zu brechen.
Der Mörder hatte Macht über die Frauen, das verschaffte ihm sexuelle
Befriedigung. Das verstand Otto. Aber warum stach er mit seiner Waffe so oft
zu? Warum war nicht ein anderes Folterinstrument benutzt worden? Dafür musste
es einen Grund geben.
    Plötzlich drehte
sich Ferdinand um. Während er sich auf der Rückenlehne abstützte, kniff er die
Augen zusammen und spähte nach hinten.
    »Was ist los?«,
fragte Otto und blickte ebenfalls zurück. Auf dem erdigen Waldweg konnte er
jedoch nichts Besonderes erkennen.
    »Es klang wie ein
Wiehern«, meinte Ferdinand. »Ganz in der Nähe.«
    »Wir sind gerade
durch Neuglobsow gefahren«, sagte Otto und drehte sich wieder um. »Da ist es
völlig normal, wenn du Reiter hörst.«
    »In Fürstenberg
hab ich zwei Matrosen gesehen«, sagte nun Moses. »Einer von ihnen hatte einen
Seesack geschultert. Sie waren mir schon am Gesundbrunnen aufgefallen. Ich
glaube, sie sind uns gefolgt.«
    »Papperlapapp«,
sagte Otto. »Außer dem Commissarius weiß niemand, dass wir hier sind. Eure
Nerven spielen euch Streiche. Ich hab euch gleich gesagt, dass ein Kriminalfall
nichts für zartbesaitete Gemüter ist.«
    Otto atmete tief
durch und rieb sich die Schläfen. Du hast gut reden, dachte er. Unter seinen
Augen schimmerten bläuliche Schatten. Er fühlte sich müde und zerschlagen.
Gleich nach ihrer Rückkehr wollte er eine Apotheke aufsuchen, um sich ein
starkes Schlafmittel geben zu lassen.
    Unterdessen rollte
der Landauer durch ein offenes gusseisernes Tor. Eine etwa dreihundert Meter
lange, mit Linden gesäumte Allee führte direkt auf das Palais zu, das
unverkennbar Schinkels Handschrift trug. Der Schotter knirschte unter den
Wagenrädern. Otto entdeckte in der weitläufigen Anlage mehrere Gebäude: eine
Scheune, das Tagelöhnerhaus, zwei Hundezwinger und einen Pferdestall nebst Koppel.
Hinter den Bäumen sah er außerdem die Orangerie und einen Wasserturm, beide
standen dem imposanten Palais in nichts nach. Der Landauer umkurvte einen
Springbrunnen und hielt vor der doppelläufigen Freitreppe.
    Otto öffnete den
Verschlag und trug dem Kutscher auf zu warten. Gefolgt von Moses und Ferdinand
stieg er die Stufen hinauf. Auf dem Treppenabsatz erwartete sie ein Diener in
einer roten Livree. Seine Waden waren nackt. Er verbeugte sich und fragte nach
ihrem Begehr. Otto überreichte ihm seine Karte und äußerte den Wunsch, zur
Baronin vorgelassen zu werden. Daraufhin führte der Diener sie durch das
Eingangsfoyer in einen Salon und bat um etwas Geduld.
    Erstaunt blickte
Otto ihm nach. »Sagt mal, habt ihr das auch bemerkt?«
    »Meinst du die
nackten Waden?«, fragte Moses.
    »Nein«, erwiderte
Otto. »Vielleicht habe ich mich auch getäuscht, aber ich glaube, dass er eine
Perlenkette getragen hat.«
    Die drei nahmen
Platz und sahen sich um. Der Boden des Salons bestand aus fein geäderten rosa
Marmorplatten. In einer Ecke stand ein Delfter Kachelofen, der ein Vermögen
gekostet haben musste. Die Wände waren mit Rosenholz verkleidet,

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