Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
vernünftiger Gedanke war, seit Martin Danelius in der Tür des Cafés aufgetaucht war und ihn angesehen hatte.
Sie stand im Garten, als er eintraf. Stand. Das war natürlich eine Illusion. Ihre Behinderung war bereits das Normale, und das Normale war unnormal. Die Räder des Rollstuhls hatten sich in die Laubhaufen unter den Apfelbäumen eingegraben. Er bezahlte, sah das Taxi verschwinden und konnte sich erst nicht überwinden, auf sie zuzugehen. Ihr schmaler Körper. Das lange, blonde Haar. Augen, die ihn anfunkelten. Edelsteine oder Strass. Das Licht wurde sowohl in Steinen gebrochen, die Millionen kosteten, als auch in solchen, die für ein paar Hunderter zu haben waren. Falscher Theaterkrimskrams war so gut wie Gold. Alles kam darauf an, wer den Hals betrachtete. Einen Hals, um den man die Hände legen konnte.
Um zuzudrücken.
Er bemerkte, dass er zitterte, und er ging auf sie zu, langsam, um seinen Körper zu beruhigen. Mit jedem Schritt kam sie näher. Keine Illusion. Eine Frau im Rollstuhl. Wirklich und wertvoll.
»Hallo, Stella.«
Sie hielt ihm die Hände hin. Er sah die Wärme in ihren Augen. Erwartung? Die bleiche Haut war von einem dünnen, roten Schleier überzogen. Die Lippen waren leicht geöffnet. Er dachte, dass er nichts wissen konnte, aber dass nichts mehr verloren gehen konnte, wenn bereits alles verloren war. Am Anfang war das Wort, aber vor dem Anfang war die Liebe. Er nahm ihre Hände in seine. Sie waren warm. Er küsste sie nacheinander auf die Handfläche und legte diese dann auf seine Wangen. Sie waren stark und warm. Er ging in die Hocke, um ihrem Gesicht näherzukommen, und hielt dabei ihre Hände weiter fest. Sie entzog sie ihm nicht. Lächelte.
»Papa sagte, du hättest um meine Adresse gebeten. Das hat mich hoffen lassen … ich meine, ich hatte ihn bereits nach deiner Telefonnummer gefragt. Eine Gelähmte macht nur ungerne den ersten Schritt. Vielleicht hätte ich nie angerufen. Aber …«
Er hielt es nicht länger aus. Er rutschte näher an sie heran. Das Gras war feucht. Dann fasste er ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie. Erst fragend, weil er Angst hatte, die Situation missverstanden zu haben, dann mit Hingabe und voller Zutrauen, als sie den Kuss erwiderte. Er bemerkte den Duft der Erde, meinte aber auch, die Apfelblüte des Frühlings in der Nase zu haben, den Duft der reifen Äpfel. Er drückte sie an sich, so gut es ging, und dachte, dass das Leben eine Sackgasse war. Wirkliches Glück konnte nur der finden, der die Möglichkeit besaß, zurückzugehen, um einen Ausweg zu finden.
Er ließ sie los, um sie zu betrachten. Ihre Augen waren warm, weicher Samt neben milchweißer Haut, und sie lächelte. Er spürte ihren Atem am Hals.
»Ich wusste es bereits, als du kamst«, sagte sie. »Ich sah dich im Garten und dachte, das ist er. Trotzdem versuchte ich meine Rolle zu spielen. Eigentlich hatte ich geglaubt, dass es nie wieder passieren würde, du weißt schon.«
Sie lächelte erneut. »Sollen wir reingehen? Kannst du so nett sein und mir helfen, den Rollstuhl zu schieben? Dann geht es schneller. Das sage ich nur ein einziges Mal, und ich werde es außer zu dir zu niemandem sagen.«
Er erhob sich, fasste die Griffe des Rollstuhls und schob ihn, so schnell es ging, auf die Rampe zu und dann hinauf. Er blieb vor der Haustür stehen und sah, dass an den Rädern große Erdklumpen klebten.
»Trag mich rein, Fredrik. Lass das blöde Ding draußen stehen, und tu so, als hätte ich mir nur den Fuß verstaucht. Lass mich ein paar kurze Minuten lang normal sein.«
»Für mich bist du ohnehin die einzig Normale in einer vollkommen verrückt gewordenen Welt. Ich glaube, dass ich …«
Sie brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihre Arme um seinen Hals legte. Ihm stieg der frische Duft ihres Haars in die Nase. Er wusste, dass er sich beherrschen musste. Er durfte nicht wieder weinen. Er hob sie hoch und dachte, dass sie zerbrechlich sei wie Glas, dass Glas jedoch das Ergebnis einer lebenslangen Ehe von Sand und Wärme darstellte.
Mühelos trat er über die Schwelle, und es gelang ihm, die Tür hinter ihnen zu schließen. Er warf ihr einen fragenden Blick zu, und sie deutete auf eine Tür weiter hinten. Er ging dorthin und öffnete die Tür mit dem Fuß. Stella drückte ihr Gesicht an seine Brust und atmete tief durch. Ein helles Zimmer. Blaues Bett. Eine unbeschädigte Matratze ohne Gewehr. Graue Decke. Muscheln auf dem Fensterbrett.
Vorsichtig legte er sie aufs Bett. Sie
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