Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, eine Geste, die sie schon unzählige Male gesehen hatte. Da die Haare so kurz geschnitten waren, wirkte sie jedoch überflüssig.
»Ich meine, dass wir eigentlich alles hatten, was wir brauchten«, meinte er. »Berühmt zu sein und Geld zu verdienen ist ja ganz nett. Aber nicht so nett, wie man glaubt, wenn man das
alles nicht hat. Anyway. Ich gehe einer Beschäftigung nach, die mir gefällt. Kennst du eigentlich meine neueren Werke?«
Unsicherheit? Eine Frage? Sie nickte.
»Ich habe Fotos gesehen und irgendwann mal eine Ausstellung besucht.«
»Willst du dir das Atelier ansehen?«
Sie nickte erneut, und sie erhoben sich gleichzeitig. Einen Augenblick lang standen sie sich gegenüber, und sie merkte, dass sich die Luft zwischen ihnen veränderte. Sie hörte seine Atemzüge und spürte, dass die Luft, die eben noch in ihrer Lunge gewesen war, nun in seiner verschwand. Bei diesem Gedanken brach ihr der Schweiß aus, und sie drängte sich an ihm vorbei. Sie spürte, dass seine Hände ihre Schultern berührten. Sie schnappte sich ihre Tasche, ging auf die Tür zu, öffnete sie und trat auf den Hof. Der Wind war kalt, und es schauderte sie. Mit raschen Schritten ging sie gefolgt von David zum Atelierhaus. Er holte sie ein und hielt ihr die Tür auf.
Der Raum war groß, und als er Licht machte, fiel ihr auf, dass die Beleuchtung sehr professionell und durchdacht war. Auf dem Boden standen ein Dutzend abstrakte Plastiken aus Ton, die maritime Assoziationen erweckten. An die Wand gelehnt standen etliche figurativere Gemälde. Irische Landschaften in weit ausholenden, großzügigen Pinselstrichen. Langsam ging sie von Werk zu Werk, hielt gelegentlich inne und versuchte zu finden, was sie suchte.
»Leider kann ich nicht so viel hier sein, wie ich es gerne wäre. Erfolg bringt unvorhergesehene Verpflichtungen mit sich.«
Sie wusste, dass in dieser Bemerkung eine Bitte um Bestätigung lag, und das freute sie. Vorsichtig strich sie mit der Hand über eine der Skulpturen, in der sich etwas ineinander verschlang, was unauflösbar schien.
»Ceratias holboelli?«
Die Angst hinter einer vermeintlich freundlichen Fassade.
»Nein. Aber es freut mich, dass du dich daran erinnerst. Ich weiß, was du von mir hältst, aber ich wollte eigentlich nie …«
»Wie kannst du wissen, was ich von dir halte? Du hast mich nie gefragt. Mich nie besucht. Du hast dich versteckt, bis du dir sicher warst, dass ich verschwunden war.«
»Mari …« Dieses Mal flehend. »Die Götter sollen wissen, dass der David, mit dem du damals zusammengelebt hast, krank war. Du weißt das von allen am allerbesten. Glaube mir, ich verstehe, wie das gewesen sein muss und was du durchgemacht hast. Aber ich konnte nicht …«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht schämte ich mich. Vielleicht hatte ich Angst. Ich meine, ich kam dann selbst in Behandlung. Es dauerte lang, bis ich begriff, wie krank ich eigentlich gewesen war.«
»Aber die Ausstellung fand statt, ehe du dich in Behandlung begeben hast. Dafür warst du gesund genug. Du hättest dir diese Möglichkeit nie entgehen lassen, nicht wahr? Alle Aufmerksamkeit war auf David Connolly gerichtet. So wie du es dir immer gewünscht und wovon du immer gesprochen hattest. Der Pöbel, den du verachtetest, den du aber trotzdem bezwingen wolltest. Und es ist dir gelungen. Diese Idee, die vielleicht in Carna entstanden war. Etwas ganz Besonderes. Etwas, was die unzuverlässige Menge nie vergessen würde. Sie vergaßen nicht. Sie kommen in Horden, um es sich anzusehen. Damals gab es auch noch etwas zu sehen.«
»Wie meinst du das?« Seine Stimme, aggressiv. Wie immer, wenn er Kritik witterte.
»Erinnerst du dich, wie oft du die Bibel zitiert und zu einem Werkzeug gemacht hast, wie alles andere, was dir in die Hände fiel? Du hast kein gutes Haar an den Künstlern gelassen, die erfolgreicher waren als du. ›Weil du aber lau bist und
weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.‹ Dieses Zitat habe ich nie vergessen.«
»Ich auch nicht. Aber ich …«
»… bin lau geworden, oder etwa nicht, David? Ich habe verfolgt, was du in all den Jahren geleistet hast. Gesehen, was du ausgestellt hast und was über dich geschrieben wurde. Ich sehe, was hier vor mir steht. Mittelmäßige, gefällige Kunst. Ein Clown für die Massen, der sich überall anpasst. Schade nur, dass du dafür das geopfert hast, was du einmal warst. Deine Seele. Aber die verschwand
Weitere Kostenlose Bücher