Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
hatte angedeihen lassen. Büfetts, Tischlerarbeiten und Nachhilfestunden schienen die ältere Frau nicht zu interessieren. Erst als Anna das Testament erwähnte, reagierte sie.
»Die Probleme anderer Leute lösen. Wenn du damit fertig wirst, Anna … und auf die richtigen Karten setzt, dann kannst du sicher Millionärin werden. Ein solches Testament beispielsweise, das hätte ich auch gerne. Aber dafür ist es vermutlich zu spät. Alles gehört ihm. Auf dem Papier besitze ich nichts. Das Haus, das Auto, die Lebensversicherungen … alles gehört ihm. Ich habe schließlich nie gearbeitet.«
»Das kann ich mir nicht denken. Das Gesetz sieht vor, dass …«
»Meine Kleine, unsere Gesetze sind von Männern für Männer verfasst. Es tut mir leid, falls ich jetzt pessimistisch klinge, und ich will auch gar nicht unfreundlich sein, aber ist eine Frau erst einmal in so eine Hölle geraten, in die ich geraten bin, dann kommt sie nicht mehr heraus. Das weiß er auch. Deswegen sitzt er jetzt auch am Fenster und schaut hinter der Gardine hervor, um zu sehen, wann ich zurückkomme. Vermutlich stoppt er noch die Zeit. Wenn ich zurückkomme, und das tue ich, wenn ich diese fantastische Tasse Kaffee leer getrunken habe, dann wird er mich auslachen. Dann wird er verlangen, dass ich ihm die Zeitung hole. Und weißt du was? Ich werde es tun.«
Elsa Karlsten erhob sich.
»Du meinst es gut, Anna. Ich wünschte mir, ich könnte das annehmen. Aber ich bin nicht mehr stark. Aber du bist
es. Du gibst, und du nimmst, das habe ich sofort gesehen, als du eingezogen bist. So soll es auch sein. Stille Gewässer kippen irgendwann um. Wie hast du übrigens diesen Kaffee hingekriegt? Ich tippe auf Kardamom. Aber ich bin schließlich auch die Tochter eines Apothekers, das hat meinen Geschmackssinn geschärft.«
Mit diesen Worten erhob sie sich, zog ihren Morgenrock enger um sich und verließ das Haus. Durch das Fenster sah Anna, wie sie das Gartentor öffnete und wie sich die Gardine im Fenster bewegte, als sie die Haustür öffnete. Sie dachte, dass sie beide fast nackt am Küchentisch gesessen hatten, nur in flüchtigen, improvisierten Hüllen. Sie waren sich in diesen Minuten näher gekommen als in all den Jahren, in denen sie Nachbarn gewesen waren, ohne etwas übereinander zu wissen.
KAPITEL 4
G emeinsam saßen sie um den Tisch und kauten vorsichtig auf dem Pie mit Käse und Schinken, der Jos ersten Versuch eines Tagesgerichts im Café darstellte. Mari fand die Variante ohne schwarzen Pfeffer rührend. Sie sah, dass Anna vorsichtig die zu dicken Schinkenstücke beiseite schob. Fredrik spülte das Ganze mit einem alkoholfreien Bier herunter. Sie hatten alle keine Lust zu reden.
Anna hatte von dem Vorfall mit Frau Karlsten berichtet, was Mari an etwas erinnert hatte, das sie lieber verdrängt hätte. Trotzdem spürte sie die Arme um die Taille und hörte die warme Stimme an ihrem Ohr.
Du bist die, die du für mich sein sollst, Mari. Hatten wir uns nicht darauf geeinigt?
Sie zwang sich dazu, Fredrik anzuschauen, der erklärte, er wolle sich sämtliche relevanten Gesetze anschauen, um zu prüfen, ob sich nicht eine juristische Lösung finden ließe. Mari konnte sich nicht konzentrieren. Sie dachte an David. Daran, wie sie Mullarkey’s Bar betreten und sich mit den anderen an der Bar gedrängt hatte. Sie war in eine Gruppe Italiener geraten, die sich auf einer Fahrradtour befanden, und hatte panisch so getan, als sei sie nicht so isoliert, wie sie sich fühlte. Sie redete ununterbrochen und deutete an, ihre Reisegefährtin sei auf dem Zimmer, damit sie sie nicht verließen, sondern an ihrer Gemeinschaft teilhaben ließen.
Die Reise hätte eine gute Idee sein können. Sie liebte Irland, und als niemand mitkommen wollte, war sie ihr als Möglichkeit erschienen, als Chance, das Süße und andere Düfte zuzulassen. Fliegen, ein Auto mieten und ziellos herumfahren, die Karte aufgeschlagen, aber keine festen Ziele zu haben, würden ihre Hemmungen vielleicht lösen, die Gefühle, das Leben. Eine lächerliche Hoffnung. Stattdessen musste sie ständig am Straßenrand anhalten und weinen, während sie die Autos vorbeiließ, die sich hinter ihr gestaut hatten, weil sie wegen des Linksverkehrs langsamer fuhr als sonst. Eine Weile allerdings fühlte sie sich bei Mrs. Rymes und ihrem Mann wie zu Hause. Aber als sie sich jeden Morgen gezwungen sah, zu warten, bis zuerst die Familien oder Reisegruppen gefrühstückt hatten, bis sie einen Tisch für
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