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Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm

Titel: Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Ernestam
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ruhig ihre Frage, während diese verdammten Zähne in der Dunkelheit funkelten wie kleine, scharfgeschliffene Perlen. Plötzlich saß er nicht mehr auf einem Stuhl im Fata Morgana. Er stand im Wohnzimmer seiner Kindheit.
    Die Uhr tickte an der Wand. In dem großen, braunen Ledersessel saß seine Mama mit übergeschlagenen Beinen, die Arme auf den Armlehnen. Sie sagte nichts. Sie starrte einfach nur mit ihrem durchsichtigen Blick geradeaus, so als nähme sie weder ihren Mann mitten im Zimmer wahr noch ihn selbst, dem Vater gegenüber. Er trug Hosen und Pullover und reckte sich, um größer auszusehen. Der Zeigefinger, den sein Vater ihm unter das Kinn gelegt hatte, war kalt und hart, so hart, dass der erwachsene Fredrik der Gegenwart wusste, dass ihm sein Vater nicht mit dem Finger den Kopf hochgedrückt hatte, sondern mit dem Gewehr.
    »Also. Wir waren unartig. Wir waren wieder unartig.«
    Er stand Todesängste aus, hatte das Gefühl, all seine Willensstärke aufbieten zu müssen, um die Magensäfte zurückzuhalten, die seine Kehle hochstiegen, gegen die der Gewehrkolben jetzt so fest drückte, dass er das Gefühl hatte, bald keine Luft mehr zu bekommen. Er wusste, dass er allen Grund hatte, Angst zu haben. Solange Papa schrie und lamentierte, konnte er sich einigermaßen sicher fühlen. Dann war die Aggression unkontrolliert und leichter abzuwehren. Die Strafe kam zwar, aber sie war nur selten raffiniert und traf daher nicht mit jener teuflischen Präzision, die auf Ruhe und Stille folgte. Es war bislang nur wenige Male vorgekommen, dass Papa so mit Bedacht vorgegangen war wie jetzt. Aber was er angestellt hatte, war offenbar schlimmer gewesen, als er realisiert hatte. Jetzt würde er bestraft werden. Mit Ruhe und Präzision.

    Er betete zu Gott, dass er nicht in die Hose machte, und sah aus den Augenwinkeln, wie sich Mama in ihrem Sessel bewegte. Er versuchte, nicht den Kopf zu bewegen und nicht dorthin zu schauen, aber er konnte ein unfreiwilliges Zucken des Halses nicht verhindern, das dazu führte, dass ihm sein Vater den Gewehrkolben noch fester unter das Kinn drückte. Es kam ihm hoch, und seine Augen tränten. Papa sah das, und seine Augen verengten sich zu kleinen, schwarzen Schlitzen.
    »Ich dachte, du wärst jetzt ein großer Junge. Dachte, wir könnten dich bald als einen ganzen Kerl betrachten. Als jemanden, auf den man stolz sein kann. Jemanden, den man in den Wald mitnehmen und vorzeigen kann. Jemanden, der etwas Männerarbeit übernehmen kann, wenn man selbst etwas anderes zu tun hat. Wir sind schließlich eine Familie. Eine Familie, die zusammenhält, nicht wahr?«
    Er konnte nicht antworten, selbst wenn er gewollt hätte. Der Gewehrkolben hinderte ihn effektiv an allen eventuellen Worten, aber er wusste auch, dass sein Vater gar keine Erklärungen erwartete. Erklärungen sind etwas für Frauen, hatte sein Vater einmal gesagt. Wir Männer handeln. Seine Mama hatte dazu rätselhaft gelächelt und nicht widersprochen.
    Er wusste, dass Papa die Situation genoss und so lange wie möglich in die Länge ziehen würde, und er hoffte, dass die Kräfte der höheren Mächte ihm halfen, Tränen, Urin und Erbrochenes zurückzuhalten. Er blickte seinem Vater weiterhin fest in die Augen und hörte, dass dieser wieder zu sprechen begann.
    »Aber du bist kein ganzer Kerl. Du bist ein Nichts. Ein Kind, das immer noch Spiele spielen will. Dann müssen wir uns eben danach richten und das Beste aus der Situation machen. Das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben. Was für ein Glück, dass wir uns auf Spiele verstehen. Wir hatten immer Sinn für Spiele, nicht wahr, Michelle?«
    Papa sprach immer in der Wir-Form. Er wusste damals
bereits, dass er solche Formulierungen für den Rest seines Lebens verabscheuen würde. Als seien Papa, Mama und er ein einziger Körper, ähnlich, wie der Pfarrer das manchmal im Gottesdienst beschrieb. Wir sind alle eins, oder wie immer er sich ausdrückte. Oder hatte er das missverstanden? Waren alle Menschen Glieder seines Leibes, also des Leibes Jesu, oder sollten sie beim heiligen Abendmahl daran teilhaben dürfen? Er erlaubte sich, kurz darüber nachzudenken, als Papa wieder zu sprechen begann. Er hatte keine Antwort seiner Frau erwartet, und sie hatte ihm auch keine gegeben. Das Wesen in dem Sessel glich einer Statue. Einem weißen, schimmernden Marmorbild, über das jemand ein Kleid gezogen hatte.
    »Ich habe den ganzen Nachmittag nachgedacht, verstehst du. Wir müssen uns für dich

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