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Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm

Titel: Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Ernestam
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Was kennt Papa nicht? Welche Teile des Hauses sind tabu? Er unterdrückte seine Panik, spürte die Kälte unter seinen Kleidern und versuchte nachzudenken. Schließlich fiel es ihm ein. Sein eigenes Zimmer betrat sein Vater eigentlich nie, außer, wenn er sich davon überzeugen wollte, dass er gründlich aufgeräumt hatte. Er rannte in sein Zimmer, schaute auf das gemachte Bett und auf den Stuhl mit den Kleidern, den Schrank mit den Spielsachen, das Bücherregal, den Flickenteppich und die gelben Gardinen. Er sah die Schere, den Leim, die Farben und das Papier auf dem Fußboden. Hier hatte er noch vor einigen Stunden gesessen und gemalt und nicht geahnt, dass seine relativ friedliche Existenz in einigen Stunden erschüttert werden würde. Mamas schöne Stimme. Wenn du nett zu Mama bist, dann ist Mama nett zu dir. Da kam ihm die Idee.
    Rasch riss er Tagesdecke und Laken beiseite und legte die Matratze auf den Fußboden. Sie hatte einen gestreiften Bezug. Er nahm die Schere und schnitt die Rückseite ein. Er hörte, wie sein Vater rief: »Noch zwei Minuten!« Mama sang weiter davon, wie gut alles im Augenblick sei. Sie sang, dass eine Frau freigesprochen worden war, obwohl sie ihren Mann ermordet hatte, und dass ihr Gefängnisaufenthalt ihrer künstlerischen Karriere genützt hatte.
    Als der Schlitz ausreichend lang war, versuchte er das Gewehr hineinzustecken. Aber die Matratzenfüllung, eine klebrige, graue, watteartige Angelegenheit, war zu kompakt, und es gelang ihm nicht, das Gewehr in den Schlitz hineinzupressen. Der Schweiß lief ihm den Rücken herunter, und er zerrte eine Handvoll Matratzenfüllung nach der anderen heraus, bis das Gewehr Platz fand. Dann stopfte er einiges von der Füllung
zurück, um die Waffe zu verbergen, so gut es ging. Dann schleppte er die Matratze zurück und machte das Bett mit der militärischen Präzision, die sein Vater verlangte. So gut und so rasch es ging, versuchte er dann die Füllung vom Fußboden aufzuklauben, den Rest schob er mit den Händen unter den Teppich. Dann schlich er sich in die Küche, überlegte es sich dann aber anders und ging zurück in sein Zimmer und legte sich aufs Bett. Papa würde ihm diese Kaltblütigkeit nicht zutrauen. Vielleicht hatte er ja doch eine Chance.
    Als Papa rief: »Jetzt komme ich«, drehte es ihm den Magen um. Er schluckte und verließ langsam seinen Körper. Er glitt an die Decke, um die Situation aus der Entfernung zu verfolgen. Von der Decke aus sah und hörte er dann, wie sein Vater alle Schränke, Schubladen, Ablagen und Abstellkammern des Hauses systematisch durchsuchte. Gleichzeitig breitete sich der Duft des Auflaufs aus, den seine Mutter in den Ofen gestellt hatte. Möglicherweise war es ja der verführerische Duft, der ihn am ersten Abend rettete. Papa schaute nur kurz in sein Zimmer, grinste ihn an und ging dann ins nächste Zimmer weiter. Schließlich rief er aus der Küche, die Jagd sei für diesen Abend abgebrochen, und er hätte die erste Runde gewonnen. Der Lümmel.
    Bei Tisch aß sein Vater mit gutem Appetit. Er schien prächtige Laune zu haben und meinte, der einzige Vorteil bei dem Vorfall sei, dass der Junge zumindest lerne, worauf es bei einer guten Jagd ankomme. Mama schaute beide an und stellte fest, sie könne ihnen das nächste Mal genauso gut Eingeweide vorsetzen, wenn niemand Verstand genug hätte, etwas über ihr französisches Kartoffelgratin zu sagen. Daraufhin beeilten sie sich beide, es zu loben, und Papa küsste sie auf die Wange, was sie gnädig gestattete. Der Tisch war mit Leinenservietten und brennenden Kerzen schön gedeckt. Ich verabscheue vulgäre Tischmanieren, hatte seine Mutter einmal gesagt. Papa hatte ihr als Antwort darauf über den Oberschenkel gestrichen,
hatte aber anschließend damit angefangen, Zahnstocher zu benutzen.
    Die folgenden Tage verbrachte er in ständiger Angst vor dem Abend und konnte sich deswegen nicht in der Schule konzentrieren. Seine gesamte Freizeit verbrachte er mit seinen Kaninchen im Brennholzschuppen, da er sie nicht ins Haus bringen durfte. Er nahm sie eines nach dem anderen aus dem Stall, vergrub sein Gesicht im Pelz und atmete ihren warmen Geruch ein, ließ sich die Hand ablecken und gab ihnen besonders gute Sachen zu essen. Wahrscheinlich wusste er bereits, dass es sinnlos war. Er würde ihr Leben nicht retten können. Sein Versteck war gut, aber nicht gut genug, um einen erfahrenen Jäger zu täuschen.
    Trotzdem wäre es ihm fast gelungen. Fünf Tage lang blieb

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