Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
wir sind. Wer kann uns schon widerstehen? Wer würde nicht verstehen, wozu wir fähig sind, wenn wir erst die Möglichkeit erhalten?«
Sie hob die Hand und winkte, und der Kellner brachte ihr einen weiteren Drink. Sie griff nach dem mit roter Flüssigkeit gefüllten Glas. Ihre ebenfalls roten Lippen waren leicht geöffnet, ihre Lider waren stark geschminkt, und ihre Wimpern waren zu lang, um echt zu sein.
»Wer weiß?«, meinte sie. » Kleopatras Kamm hat, wie gesagt, eine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit der Kundin ausgeführt. Niemand weiß, welche Aufträge jetzt folgen. Die Firma, die alle deine Probleme löst, das hattet ihr doch versprochen, oder? Vielleicht naiv, aber in dieser Geschäftsidee stecken Möglichkeiten. Kleopatras Kamm könnte lukrativ werden. Die Menschen haben so viele unterschiedliche Probleme. Das hat uns Elsa Karlsten doch ein für alle Mal vor Augen geführt.«
KAPITEL 12
M ari saß auf dem Sofa, fingerte an dem Teller herum und konnte ihr Verlangen schließlich nicht mehr bezwingen. Mit dem Zeigefinger sammelte sie die Krümel der Torte auf, die sie mit nach Hause genommen hatte, und leckte dann genüsslich die Buttercreme ab. In ihrem Eifer, zu den Mandelstiften vorzudringen, hatte sie sich in die Backe gebissen, aber trotz Schmerz und Blutgeschmack im Mund fühlte sie sich hoffnungsvoll. Vielleicht würde sich die Buttercreme ja nicht mit dem überflüssigen Fett ihrer Oberschenkel vereinen, sondern die Rundung ihrer Brüste verbessern. Sie sind gut wie sie sind, hatte David immer gesagt, aber jetzt waren ihre Zweifel zurückgekommen.
Sie hatte kein Licht gemacht, sondern nur ein paar Kerzen angezündet, in deren Licht die Skulptur tanzte und die Urne mit den Fischhandgriffen aussah wie ein lebendiges Wesen. Sie starrte in die Flammen und versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, was sie empfunden hatte, als Elsa Karlsten ins Café gekommen war und erzählt hatte, was passiert war.
Warum hatte es sie nicht überrascht? Warum hatte sie, seit die ältere Frau ihr grausiges Ansinnen vorgebracht hatte, gewusst, dass die Sache so ausgehen würde? Sie konnte es nicht erklären. Sie wusste nur, dass die anderen sich hatten anstrengen müssen, um die Fassung zu wahren, während bei ihr jede Gefühlsregung ausgeblieben war. Sie hatte überhaupt nichts empfunden außer einer kalten, blauen Ruhe.
Sie hatte sich entschuldigt und Anna und Fredrik allein gelassen. Die Ruhe, die sie in dieser Situation empfand, war eigentlich nicht schwer zu erklären. Nur der Umfang der gefühlsmäßigen Demolierung überraschte sie. David hatte ihr Gefühlsleben mit dem Schweißbrenner zerstört. Jetzt war sie isoliert und damit unschädlich gemacht. Ungefährlich? Vielleicht hatte er das geglaubt. Doch er hatte sich geirrt. Eine gefühllose Person wie sie konnte man nie als ungefährlich bezeichnen. Deswegen hatte sie den Spaziergang genutzt und sich darauf vorbereitet, sich wie eine ungefährliche Person zu verhalten.
Ein Glück, dass es Fredrik gelungen war, die Situation so darzustellen, dass die Schuld auf Elsa Karlsten fiel. Ein natürlicher Tod. Na klar. Es gab vieles, was sich mit natürlichen Umständen erklären ließ. Stimmungsschwankungen waren natürlich, Streit war natürlich, Unterdrückung und Kränkung war natürlich. Sogar Selbstmord war natürlich.
Sie schloss die Augen und spürte, dass ihr Geist über die Nordsee schwebte, über die Britischen Inseln hinwegflog, dann Irland überquerte und im Westen landete. In Clifden, in der Grafschaft Connemara, im Restaurant Murrughach, wo früher der Segelclub gewesen war. Der Geist glitt durchs Fenster, setzte sich an einen der alten Tische und starrte in die Flamme der Kerze, die in einem Flaschenhals steckte. Armeleutekerzenhalter, dachte sie und glitt in ihren Körper zurück, blieb aber am Ort.
Sie war wieder physisch zugegen in der Vergangenheit. Sie sah sich um und betrachtete die Tische, die nicht zusammenpassten, die Seglerutensilien an den Wänden und die karierten Tischdecken. Die Fensterscheiben waren von dem nur wenige Meter entfernten Meer salzverkrustet. Sie schaute nach draußen, sah die vertäuten Boote an den Leinen zerren und einige Segler in einem Schlauchboot auf ein größeres Boot Kurs nehmen, das in der Bucht vor Anker lag. Die Berge ließen sich
in der Ferne erahnen, und der Geruch des Meeres vermischte sich mit den Düften aus der Küche. Dann fiel ihr auf, dass die meisten Tische besetzt waren, und sie begann, die
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