Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
nicht zu Diensten stehen und seinem Begehren nicht nachkommen können.«
»Natürlich.« Fredriks Antwort war nicht mehr als ein Flüstern.
»Bist du dir sicher, dass es dir gut geht, Fredrik?«
Das Gefühl, alles verloren zu haben. Das Gefühl, als Papa ins Zimmer gekommen war und das Gewehr in der Matratze gefunden hatte, obwohl er doch schon beinahe daran geglaubt hatte, es geschafft zu haben. Das Gefühl der unendlichen Unausweichlichkeit aller Dinge, als Papa mit raschen, sicheren Schritten und dem Gewehr in der Hand in den Hof gegangen war. Das Gefühl, als er ihm schreiend hinterhergelaufen war, sich erniedrigend und um Verzeihung und Barmherzigkeit bittend. Das Gefühl, als Papa die Tür zum Holzschuppen aufgerissen hatte und die Kaninchen im Nacken gepackt, eines nach dem anderen rausgetragen und auf die Wiese gesetzt hatte. Sie bekommen noch eine richtige Chance. Zeigt jetzt, dass ihr hoppeln könnt, ihr kleinen Scheißer. Dass noch was Wildes in euch steckt. Dass ihr nicht vollkommen verhätschelt seid. Die unsicheren, aber freudigen Sprünge der Kaninchen auf der Wiese. Zum ersten und letzten Mal im frischen Grün. Das Gefühl, als sie Richtung Wald hoppelten und zwischen den Bäumen verschwanden. Papa lachte, weiß Gott! Das hier wird eine richtig aufregende Jagd. Komm schon, Junge. Jetzt kannst du was lernen.
»Klar. Ich bin natürlich genauso schockiert wie du. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Außer, dass wir selbstverständlich ablehnen. Dann müssen wir versuchen, eine Weile unterzutauchen. Das ist vielleicht nicht so schwer. Ich bin früher schon gelegentlich verschwunden, obwohl ich immer wieder zurückgekommen bin.«
Er versuchte seine Übelkeit zu unterdrücken.
»Ich wage nicht daran zu denken, wie Elsa Karlstens Mann gestorben ist«, flüsterte er. »So vieles ist unklar. Aber ich will es eigentlich auch gar nicht wissen. Er ist tot. Ich entscheide mich dafür, zu glauben, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist, und will nicht weiter darüber nachdenken. Einen weiteren Todesfall können wir hoffentlich verhindern. Falls Martin nicht selbst zur Tat schreitet, wenn er einsieht, dass
wir es nicht tun. So wie du es beschrieben hast, scheint er fest entschlossen zu sein, sein Versprechen zu halten. Ich kann ihn verstehen. Das ist wirklich sehr schlimm. Genauso wie ich Elsa Karlsten verstehen konnte, als sie zu uns kam und uns von dem Nussknacker erzählte.«
»Ich auch. Ich bin ganz deiner Meinung. Das ist das Schlimmste.«
Sie verstummten beide und sahen sich an. Mari tätschelte Fredrik die Wange. Er nahm ihre Hand und küsste vorsichtig ihre Handfläche. Dann schloss er behutsam ihre Finger, damit sie den Kuss auch behalten würde.
»Fredrik. Ich will nicht glauben, dass Menschen willens sind, Morde zu begehen. Aber ich weiß … ich glaube, dass es so ist.«
»Ich auch, Mari, obwohl ich es nicht will.«
»Aber denk doch nur daran, was der Arzt zu Anna gesagt hat. Eine Menge Morde bleiben unentdeckt.«
Der Ausdruck in Maris Augen war fast nicht zu ertragen. Die Musik wurde intensiver, und sie drehte den Kopf zur Seite und betrachtete die beiden Frauen auf der Bühne. Ihre Kleider, Frisuren und ihren Schmuck. Die Münder bewegten sich, als würden sie mit Hilfe von Gummibändern bewegt. Sie kniff die Augen zusammen, und Fredrik sah, wie ihr auffiel, dass etwas nicht stimmte. Gaben die Hüften alles preis? Die Schultern, schmal und anmutig, aber mit einer unerwarteten Eckigkeit, die nicht einmal eine üppige Federboa verhüllen konnte? Die Stimmen? Sie wandte sich an Fredrik, und dieser empfand vielleicht Erleichterung.
»Diese beiden Sängerinnen«, sagte sie langsam, »sind das wirklich Frauen? Oder sind das verkleidete … Männer?«
»Ja, das sind Männer. Alle Künstler, die in diesem Lokal auftreten, sind Männer. Vielen Zuschauern fällt das nicht einmal auf. Sie bewundern eine weibliche Schönheit, deren Vollkommenheit darauf beruht, dass sie nicht echt ist. Andere fühlen
sich gerade deswegen davon angezogen. Der Reiz liegt in dem Unnatürlichen und gerade deswegen Perfekten.«
Mari antwortete nicht. Er überlegte, ob sie wohl die Frauen auf der Bühne schöner fand als alle sogenannten echten Frauen.
»Leute, die keine Ahnung haben, erfinden alle möglichen Bezeichnungen«, versuchte er zu erklären. »Transsexuelle, Bisexuelle … Transvestiten. Irgendwas. Die Wahrheit ist jedoch, dass es nicht immer um Sexualität geht, sondern auch darum, etwas … von der
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