Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
und einem Spezialkaffee, den sie mittlerweile fast im Schlaf zubereiten konnte, bewirten lassen. Als er gegessen hatte, sagte er, er fühle sich an das Brot erinnert, das seine Frau immer gebacken habe. Dann kam er sofort zur Sache. Er sprach nicht von Schuld, Scham, Trauer oder Vergebung, sondern von Zusammengehörigkeit und von einer Liebe, die auch vor dem Tode nicht Halt machte. Sie bliebe bestehen, ohne Angst vor dem dunklen Abgrund. Er drückte sich geschliffen aus. Erneut verspürte sie Ekel und Panik. Sie verstand ihn so unendlich gut.
Sie wollte ihm erklären, dass sie sein Anliegen bereits diskutiert hätten, seinem Wunsch jedoch nicht entsprechen könnten. Aber es gelang ihr nicht. Sie versuchte ihre Furcht zu
verdrängen. Aber ihre Gedanken umklammerten sie mit einer klebrigen Intensität und legten ihr unbeabsichtigte Worte in den Mund. Ob die Erwähnung des Honorars wohl dazu beigetragen hatte? Das wäre abscheulich. Daran durfte sie nicht denken. Jedenfalls nicht jetzt.
»Sie meinen ganz im Ernst, dass Sie das durchziehen wollen?« Ihre Stimme zitterte, aber er wirkte fest entschlossen.
»Ich war gestern bei ihr. Habe zugesehen, wie sie sie umgedreht haben. Ich habe ihre Hand gehalten und mit ihr gesprochen, wie ich das immer tue. Sie reagiert nicht. Die Antwort lautet also ja. Aus tiefster Seele. Anna hätte das sicher besser ausgedrückt.«
Anna Danelius hätte das besser ausgedrückt, wenn sie noch hätte sprechen können. Aber Anna Danelius konnte nicht mehr sprechen. Sie selbst erwiderte, sie müsse sich mit ihren Kollegen beraten und könne nichts versprechen. Sie beabsichtige, Anna im Krankenhaus zu besuchen und dann zu entscheiden. Dann ließ sie sich die notwendigen Informationen geben. Er gab sie ihr bereitwillig. Sie erfuhr alles über die Station, den Gang, das Zimmer und das Pflegepersonal. Zuletzt schrieb er ihr die Besuchszeiten und die Telefonnummer auf, als könne er damit sein eigenes Gedächtnis von unnötigen Informationen befreien. Sie hatte alles gespeichert. Und nun war sie hier.
Der weiße Schwesternkittel war einfach so eine Idee gewesen. Sie wollte nicht wie eine Besucherin aussehen. Sie wollte nicht auffallen und nicht angesprochen werden. Sie wollte dort sein, ohne richtig dort zu sein, wie ein Echo ohne Seele. Deswegen war sie in den Kostümladen gegangen und hatte genau das gefunden, was sie suchte. Mit dem Kittel, einer weißen Hose und ein paar alten Holzpantinen glaubte sie, nicht weiter aufzufallen. Wer sie aus einigem Abstand sah, hielt sie vermutlich für eine Aushilfe. Sie glaubte, dass sie das vor den meisten neugierigen Blicken schützen würde.
Sie sah sich um. Die Gänge verzweigten sich im rechten Winkel, und sie hatte keine Schwierigkeiten, das Zimmer Nummer 9 zu finden. Die Tür war geschlossen und als sie sie öffnete, dankte sie der Vorsehung, dass bislang niemand auf ihre Anwesenheit in der Klinik aufmerksam geworden war. Sie schloss die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen, schloss die Augen und hielt den Atem an. Dann öffnete sie die Augen und sah sich sehr genau um.
Bei der Frau in dem Krankenbett hätte es sich genauso gut um einen Mann handeln können. Aus einiger Entfernung betrachtet sah das Wesen im Zimmer aus wie die Quintessenz eines gealterten Menschen ohne Geschlecht. Die gelbe Decke, mit der sie zugedeckt war, wölbte sich nicht über weichen Schenkeln oder einem warmen Bauch, sondern lag über eckigen Knochen. Der Kopf auf dem Kissen glich einem Totenschädel, und Haarsträhnen klebten an Stirn, Wangen und Kissen. Es war schwülwarm im Zimmer, und der Geruch von Verwesung verursachte ihr Übelkeit. Ihr kam in den Sinn, dass ihr Sterben bereits vor langer Zeit begonnen hatte. Vielleicht arbeiteten nur noch wenige Organe, während andere schon den Geist aufgegeben hatten.
Sie trat näher und strich der Frau im Bett vorsichtig über die Wange. Der Beatmungsschlauch führte durch den Mund in ihren Hals, und die Schläuche in ihrem Arm zeugten von Flüssignahrung. Sie streichelte die Frau erneut, ohne dass diese reagierte. Nicht einmal die Lider zuckten. Sie dachte an die Anna, von der Martin Danelius erzählt hatte. Eine Frau, die voller Leben gewesen war. Immer in Bewegung, auch geistig. Sie hatte vorausgesehen, was geschehen könnte, und war so mutig oder selbstsüchtig gewesen, Verfügungen für diesen Fall zu treffen.
Sie hatte auf gegenteilige Empfindungen gehofft, auf die selbstverständliche Erkenntnis, sich nicht in das
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